Rezension: Belletristik : Feridun Zaimoglu: Abschaum
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Der erste Gradmesser für die Durchschlagskraft eines Textes ist die Originalität seiner Sprache. Feridun Zaimoglu brachte mit "Kanak Sprak" den Sound des Türken von der Straße in die deutsche Literatur. Nach dem Erscheinen seines ersten Buches wurde er zum Sprecher der zweiten und dritten Generation türkischer ...
Der erste Gradmesser für die Durchschlagskraft eines Textes ist die Originalität seiner Sprache. Feridun Zaimoglu brachte mit "Kanak Sprak" den Sound des Türken von der Straße in die deutsche Literatur. Nach dem Erscheinen seines ersten Buches wurde er zum Sprecher der zweiten und dritten Generation türkischer Einwanderer in Deutschland, der "Deutschländer", zu denen er selber gehört, ausgerufen. Größte deutsche Minderheit auf deutschem Boden nannte er sie und schuf ihr gleich den Kampfruf: "Kanak Attack!" Dem historischen Vorbild der Emanzipationsbewegung der in den Großstädten Nordamerikas lebenden Afroamerikaner folgend, die sich selber als "Nigger" bezeichneten, um durch diese Geste der Aneignung Souveränität zu signalisieren, wies die ironische Identifikation mit der diffamierenden Bezeichnung den Weg zu einem neuen Selbstbewußtsein. In den Feuilletons kürte man Zaimoglu zum Malcolm X der Türken und feierte die Kreolisierung des Deutschen.
Doch die Bedeutung von Zaimoglus Texten geht über deutsch-türkische Selbstfindung hinaus. Spätestens seit Rolf Dieter Brinkmann sehnt sich die deutsche Literatur nach street knowledge. Hier ist es endlich! In Zaimoglus zweitem Buch, "Abschaum", das 1997 erschien, erzählt Ertan Ongun, ein "Kanake, Drogenabhängiger und Gangster", in fünfunddreißig Episoden in bester Kanak Sprak seinen Werdegang vom Jugendbandenmitglied und Kampfsportler zum drogenabhängigen und wegen verschiedenster Vergehen mehrfach vorbestraften Heroindealer im Knast. Der Antiheld entspricht allen negativen Bildern, die man sich von Goldkettchen tragenden Straßen- und BMW-Türken schon immer gemacht hat. Seine Sprache und sein Gangstastyle erinnern an den amerikanischen Hip-Hop. Aber wenn Ertan Ongun sich darum bemüht, ein deutsches Wort für "Gang" zu finden, weil ihm das zu amerikanisch klingt, und statt dessen von "Gruppe" und "Stamm" spricht, dann beweist er eine überraschende Verbundenheit mit der deutschen Sprache. Auch wenn nur die allerwenigsten seiner Leser ihr Leben in den Erzählungen dieser Figur wiederfinden dürften, gelingt es Zaimoglu offensichtlich, den Erfahrungen einer ganzen Generation von in Deutschland aufgewachsenen Migrantenkindern Ausdruck zu verleihen. Wie das? Im Scheitern Ertans lassen sich paradigmatisch sogenannte Identitätsfindungsschwierigkeiten der ungeliebten türkischstämmigen Deutschen zeigen. "Wie definiert man sowas wie mich? Abschaum, Krimineller, kranker Mensch, klar, das wär das leichteste, das wär am coolsten, das wär leicht, dann ist die Sache gegessen, alles klar, er hat sein Ruf, er hat sein Stempel, er is krank, er isn Junkie, er isn Krimineller, er is was weiß ich was. Und wenn ich gute Argumente bringe und auf intelligent mache, sagt man, er is Kommunist oder sowas, oder Anarchist, was für ne Scheiße auch immer. Nützt mir auch nix, ich komm trotzdem nich klar mit dieser Scheiß-Gesellschaft hier." Als Hauptprinzip deutscher Ausländerpolitik macht Zaimoglu die Strategie fest, Angehörige sogenannter Randgruppen auf eine Identität, einen Lebensentwurf festzuschreiben. Dagegen führt er seine Charaktere, auch den krassen Gangsterkanakster, als Posen ein, als alternative Lebensentwürfe und Rollen, mit denen man spielen kann, ohne voll in ihnen aufzugehen, wenn man nur erkennt, daß es sich um solche handelt. Das sind Grunderkenntnisse aus Gender- und Queertheorie in literarische Praxis übersetzt.
Wo es den Angehörigen einer unterdrückten Minderheit als Identifikationsfigur gibt, ist der unzufriedene Angehörige der herrschenden Kultur, welcher sich seinerseits mit dem Unterdrückten identifiziert, nicht weit. So bezeichneten sich zum Beispiel Musiker und Schriftsteller der amerikanischen Beat- und Hippie-Generation als "White Nigger". Warum also nicht den "Deutschländer" re-reaffirmieren? So werden Widerstandsbewegungen geboren!
klos