Rezension: Belletristik : Der Abel von Ardebil
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Die Protagonisten sind Opfer der traditionellen Verhältnisse - oder sie werden es, nach vorübergehender Befreiung. Der Vater unterdrückt die Mutter, die sich nicht zu wehren weiß und bis zu ihrem Tode in der Leidensgeste der traditionell unterwürfigen Ehefrau verharrt. Djaber ersetzt, nach westlichen Maßstäben, die Erziehung seiner Kinder weitgehend durch Strenge: alle paar Seiten hagelt es Prügel oder zumindest Kopfnüsse. Die Kinder - das sind Urhan und Aidin, die feindlichen Brüder, sowie der dritte Bruder Jussof und Aidins Zwillingsschwester Aida.
Jussof, der Krüppel, wird wie ein Tier gefangengehalten, während Urhan ganz in die Fußstapfen des Vaters treten will. Er und der Vater verursachen Aidins Martyrium, denn Aidin strebt aus der Enge der familiären Verhältnisse hinaus in das Reich der Bildung und der Schönheit. Er liest schon als Junge Balzac und die griechischen Philosophen. Doch der Vater, ganz der traditionellen Frömmigkeit verhaftet, die in allem Fremden nur Ketzerei wittert, verbrennt zusammen mit Urhan zweimal Aidins Bücher. Daß die Bücher nicht zerrissen oder verkauft werden, sondern "eingeäschert", wird vom Autor ebenfalls bewußt hervorgehoben. Aidin bleibt dem Vater fremd: "Wir hatten keinen in der Familie wie ihn. Nicht dem Aussehen nach und nicht dem Benehmen", sagt Djaber zu seiner Frau. "Hätt' ich ihn nur nicht gezeugt, und hättest du ihn nur nicht geboren!"
Dem begabten Außenseiter Aidin gelingt zeitweise die Flucht aus dem Milieu. Er kommt, als sein Plan, in Teheran zu studieren, fehlschlägt, bei Armeniern unter, wo er anfängt, Gedichte zu verfassen. Er avanciert zum bekannten Lyriker und verliebt sich in eine Armenierin. Doch die Zeit des Glücks endet abrupt. Als Aidin erfährt, daß seine Zwillingsschwester Aida sich nach einer ähnlichen Flucht schließlich selbst verbrannt hat, gibt er die Dichtung auf, kehrt nach Hause zurück und verliert schließlich den Verstand. Er ist freilich ein Verrückter der höheren Art, ein Madschnun, wie Dostojewski ihn in seinem Fürsten Myschkin gestaltet hat; ein Narr, der gleichzeitig weise geworden ist. Vater und Mutter sterben. Der Alleinerbe Urhan hat den lästigen Krüppel Jussof umgebracht und vergiftet nun auch den begabten Aidin. Mit diesem Finalsatz endet diese düstere Symphonie.
Die Tragödie der Familie verläuft parallel zur politischen Tragödie des Landes, die mit dem Einmarsch der Sowjetrussen im iranischen Teil von Aserbaidschan im Jahre 1941 sowie der durch Churchill erzwungenen Abdankung des Reza Schah beginnt und in die jahrzehntelange autokratische Herrschaft von dessen Sohn und Nachfolger Mohammed Reza Pahlewi mündet. Iran erscheint als selbstgemachtes Gefängnis, aus dem kein wirklicher Weg ins Freie führt.
Abbas Maarufi hat mit der "Symphonie der Toten" einen durch und durch persischen Roman geschrieben, trotz oder gerade wegen seiner Verwendung auch westlicher Stilmittel, die sich auf das glücklichste mit den Elementen der persischen Literaturtradition verbinden. Das Werk wird zur weiteren Emanzipation der Prosa in der iranischen Literatur beitragen, die zuweilen noch immer von der jahrhunderteschweren Last einer großartigen Lyrik überlagert wird.
Abbas Maarufi: "Symphonie der Toten". Roman. Aus dem Persischen übersetzt von Anneliese Ghahraman-Beck. Insel-Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1996.
355 S., geb., 42,- DM.