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Rezension: Belletristik : Coladosen im Tertiär

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Große Sprünge: Bernhard Kegel schreibt den Ölschiefer-Roman

          4 Min.

          Für den Paläontologen Dr. Axt könnte der Schock nicht größer sein. Tag für Tag durchstöbert er den Ölschiefer der Grube Messel auf der Suche nach neuen Fossilien. Doch das Relikt aus Urzeiten, das die weltbekannte Fundstätte unweit von Darmstadt diesmal preisgibt, bringt den Wissenschaftler zur Verzweiflung. Eingebettet in den Ölschiefer, finden sich die fossilen Überreste eines Menschen. Kein Zweifel, dieser Fund lag genauso lang in der Grube wie all die Fledermäuse, Fische, Krokodile und anderen Fossilien - knapp fünfzig Millionen Jahre.

          Störend, und zwar gewaltig störend, ist freilich, daß es zu jener Zeit mit Sicherheit noch keine Menschen gab. Das ist schlicht einige Dutzend Millionen Jahre zu früh. Wenn etwas unmöglich ist, macht es eigentlich nicht viel aus, wenn noch etwas Unmögliches hinzukommt. Im Gegensatz zum Leser wundert sich Dr. Axt dennoch darüber, daß zu jenen Urzeiten, im sogenannten Eozän, offenbar auch schon die Zünfte der Zahnärzte und Uhrmacher floriert haben. Das Skelett hat jedenfalls ein mit Metallkronen saniertes Gebiß und trägt eine Millionen Jahre alte Armbanduhr.

          Immer schon wollte man gerne wissen, was Wissenschaftler eigentlich machen, wenn sie an der Wissenschaft verzweifeln. Bernhard Kegel, der unverfroren genug ist, dem Leser eine derart haarsträubende Story aufzutischen, läßt Menschliches zutage treten. Erleichtert darf man zur Kenntnis nehmen, daß Dr. Axt nichts Besseres einfällt als anderen Menschen auch: Er gibt sich dem Suff vor dem Fernseher hin. Damit hat zumindest der eine Romanheld schon die Herzen der Leser erobert, zumal er, wie ein späterer Blick in sein Innerstes zeigt, auch volkstümlich denkt: "Kneif deine faltigen Arschbacken zusammen." Kein Zweifel, Dr. Axt ist ein guter Mensch. Das gleiche gilt für die Biologiestudenten Micha und Claudia. Er trinkt gern Bier und raucht, sie, obwohl robuste Kugelstoßerin, schmilzt in seiner Nähe dahin, wobei der weiche Flaum auf ihren Armen und Beinen golden funkelt.

          Das Buch über das Skelett im Ölschiefer ist ein Roman. So steht es auf dem Umschlag. Wer nicht mehr genau weiß, wie diese Literaturgattung in der Schule definiert wurde, erinnert sich schlagartig. Man findet parallele Handlungen, die doch irgendwie miteinander zu tun haben, es werden Ausschnitte aus dem Leben mehrerer Personen präsentiert, und vor allem handelt es sich um ein dickes Buch. Ja, so muß ein Roman sein.

          Natürlich kommen auch böse Menschen darin vor. Da ist zum einen der häßliche, hinterhältige Tobias, dessen abstoßender Charakter durch einen Diamanten im schiefen Schneidezahn gekrönt wird. Tobias ist der Urheber des Schlamassels im Ölschiefer. Ohne ihn wäre dieses Buch wohl nicht geschrieben worden, und daher zieht er den besonderen Zorn des Lesers auf sich. Niemand wird den Roman zur Seite legen, ehe er sich nicht sicher sein kann, daß Tobias und sein Skelett endgültig erledigt sind.

          Als böse muß auch das Gespann Professor Sonnenberg/Ellen gelten. Er, der alte Geiferer und Lüstling, ist gewissermaßen der Dr. Mabuse der Paläontologie, ein Gefangener seines Faches, der sich schließlich die Kugel gibt. Seine Assistentin Ellen dagegen, schon wegen ihrer Schönheit verdächtig, entpuppt sich als durchtriebenes Miststück. Sie ist eine Prostituierte der Wissenschaft, die sogar unschuldige Insekten der Urzeit vergiftet. Es geschieht ihr recht, daß sie zusammen mit Tobias schließlich im Morast des Tertiärs erstickt.

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