Rezension: Belletristik : Ab in die Kabine
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Klaus Modick blickt aufs Meer
Eigentlich hat sich der deutsche Schriftsteller in Klaus Modicks Roman "Der Mann im Mast" ja zwei Wochen "künstlerische Nulldiät" verordnet. Wenn dann gegen die eigenen Vorsätze auch im Urlaub wieder Kunst entsteht, hat das nicht nur mit zwei vorlauten Töchtern zu tun, für die er unbedingt ein Kinderbuch schreiben soll. Mehr noch ist an diesem Roman der Geist von Onkel Alec schuld, einem echten Seebären, von dem Stacy, die Frau des Schriftstellers, das windschiefe Haus in Bay Head, New Jersey, geerbt hat. Der genius loci raubt den Töchtern alsbald den Schlaf und versetzt den Schriftsteller in fiebrige Anspannung; Hurrikan Felix tut ein übriges.
Als sich die Familie am Tage nach dem Sturm in "Randers' Lobster Shanty" stärkt, kommt dem Schriftsteller die Keimidee für eine maritime Prosa-Grille. Was wäre, fragte er, wenn der Randers, von dem die Hummerbar ihren Namen hat, der Uwe Randers aus Otto Ernsts berühmt gewesener Ballade "Nis Randers" wäre? Der Mann also, der im Gedicht, festgebunden an den Mast seines havarierten Schiffes, an die friesische Küste geworfen und von einem Fischer gerettet wird, der niemand anders ist als sein Bruder. Drei Jahre, soviel weiß die Ballade, war Uwe Randers verschollen. Klaus Modicks Schriftsteller, in dem diese Geschichte "sich aufzukräuseln begonnen hatte wie glatte See bei aufkommender Brise", will das Geheimnis der drei dunklen Jahre lüften. Also denkt er sich für den verlorenen Sohn eine amerikanische Liebe und Karriere aus; und nebenbei und zwischendrin berichtet er vom Sommerurlaub in Bay Head und vom allmählichen Werden der Erzählung - woran die Töchter Miriam und Laura trotz ihres mittelschwer restringierten Codes ("eyh", "oll", "ne") maßgeblichen Anteil haben.
Wenn Klaus Modick so oft und zudem "augenzwinkernd", wie es im Klappentext heißt, im Erzählen aufs Erzählen zurückkommt, dann auch deshalb, weil er etwas beweisen will. Er will beweisen, daß selbst in einem deutschen Roman das "literarisch Avancierte" und das "Unterhaltsame" einander potenzieren können. Er will außerdem beweisen, daß man im selben Roman eine kleine Schule der literarischen Einbildungskraft liefern und sie, auf einer anderen "Ebene", auch schon mustergültig ins Werk setzen kann. Überhaupt ist das Mustergültige ein Kennzeichen von Modicks Roman. Es scheint, als habe sein Autor in ihm die geläufigen Merkmale des postmodernen Romans nach Art einer Regelpoetik abarbeiten wollen. Nun mag es ja Schriftsteller geben, die gleichzeitig als versierte Strippenzieher und als bedeutende Magier auftreten können. Aber Klaus Modick, selbst wenn er das "advanced menu" des Romanhandwerks zu bedienen weiß, bietet zum Staunen dann doch keinen rechten Anlaß. Die spielerische Überbietung von Otto Ernsts ältlicher Ballade, die Füllung ihrer "Leerstellen", bringt keinen Fortschritt gegenüber dem Original. Im Gegenteil, die Ballade ist auf unfreiwillige Weise ziemlich komisch, während in Modicks "überaus komischer Urlaubsgeschichte" das Komische selten oder nie zur Entfaltung kommt.
Wie in früheren Romanen hat sich Klaus Modick auch diesmal anagrammatisch und augenzwinkernd selbst verewigt. Lukas von Domcik heißt der bramabarsierende deutsche Erfolgsdichter, dem der blinde Passagier Uwe Randers auf seiner ersten Atlantiküberfahrt das Leben rettet. Zum Dank darf er sich in der Kabine des Dichters satt essen, ihm sein abenteuerliches Leben erzählen und sich am Ende für fünfzehn Dollar die Erlaubnis abkaufen lassen, "Ihre Geschichten aufzuschreiben, wobei ich natürlich gewisse Freiheiten walten lassen müßte, damit das Publikum . . .". Clever, dieser Domcik, aber nicht clever genug. Denn sonst hätte er darauf geachtet, daß auch ihm jemand seine Geschichte abkauft. CHRISTOPH BARTMANN
Klaus Modick: "Der Mann im Mast". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1997. 302 Seiten, geb., 39,80 DM.