Buch über Thomas Bernhard : Manche Menschen wollte er vernichten
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Unter Halbbrüdern: Peter Fabjan (links) mit Thomas Bernhard beim Gambrinuswirt in Gmunden in den siebziger Jahren Bild: Willhelm Huettner/Fotoarchiv Thomas Bernhard
Ergebenheit im Dienst der Literatur: Der Mediziner Peter Fabjan berichtet von seinem aufopfernden Leben an der Seite Thomas Bernhards und offenbart dessen vampirhafte Züge.
„Rapport“ ist ein Wort, das aus dem Französischen zugewandert ist, aus der Militärsprache, „au rapport“ im Sinn von „Meldung machen“. Dieses Wort hat Peter Fabjan, der sieben Jahre jüngere Halbbruder des Schriftstellers Thomas Bernhard (1931 bis 1989) und dessen Nachlassverwalter und Universalerbe, als Untertitel für seine Lebensbeschreibung gewählt. Eine Autobiographie im strengen Sinn ist das Buch nicht, konzentriert es sich doch im Wesentlichen auf Bernhards Familien- und Freundeskreis.

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Fabjan vermittelt den Eindruck, als habe er sich mit diesen knapp zweihundert Buchseiten von einem abzuleistenden Pensum befreit. Als sei er es sich und der literarischen Welt schuldig gewesen. Er entledigt sich dieser Aufgabe ohne Larmoyanz, streckenweise mit großer Offenheit sich selbst gegenüber. Das ist anzuerkennen. Man lege einen Bernhard-Text daneben, und siehe da: Bei Fabjan fehlen so gut wie alle Superlative; nur wenn es um den Großvater geht, gestattet er sich die Bemerkung, dieser habe „die größte Rolle gespielt“. Früher hätte man einen solchen Bericht mit „submissest“ unterzeichnet.
Verleugnete Vaterschaft
Und doch: Aus der hier zusammengestellten Familiengeschichte lässt sich für die über die ganze Welt verstreute Gemeinde Bernhards etwas lernen, und wenn es nur die Einsicht wäre, dass Familiengeschichten im zwanzigsten Jahrhundert kompliziert, auslaugend und bar jeder emotionaler Sentimentalität geschrieben wurden. Bernhards Mutter, die 1904 geborene Herta Paula Bernhard, soll, so tradiert es die Familiengeschichte, allein gelassen von den Eltern als Dreijährige ein Geschwisterkind im Gitterbett mit Holzscheiten bedeckt haben, bis das Baby zu schreien aufhörte. Der Hausarzt habe dann vertuscht, dass das Kind überhaupt geboren worden sei.
Herta Bernhards weiterer Lebensweg ist von Entbehrungen geprägt. Sie verdingt sich als Zimmermädchen, Haushälterin und Köchin in der Schweiz und in Wien. Als sie 1931 in den Niederlanden ihren unehelichen Sohn Nicolaas Thomas Bernhard zur Welt bringt, geschieht dies in äußerster Armut. Den leiblichen Vater Alois Zuckerstätter wird Thomas Bernhard nie kennen. Der verleugnet die Vaterschaft, erliegt der Trunksucht und bringt sich 1940 in Berlin um. Zu der Zeit ist Herta seit vier Jahren mit dem zehn Jahre jüngeren Friseur Emil Fabjan verheiratet und lebt im bayerischen Traunstein.
„Unleidlich“ ist sein Normalzustand
Bernhards „vampirhaftes Verhalten“ sei einer „Selbstbehauptungsstrategie“ gefolgt, schreibt Fabjan. Verlassenheitsängste, mangelndes Urvertrauen – ein positiver Blick aufs Leben sei dem Bruder in „frühester Kindheit erstorben“. Die Mutter gab den Knaben in ein Pflegeheim, wo sie ihn einmal die Woche sehen, aber nicht berühren durfte. Und als sie mit Emil Fabjan noch zwei Kinder bekommt – Peter (geboren 1938) und Susanna (1940) –, reagiert der Ziehvater mit überzogener Strenge auf Thomas. Die Kälte der frühen Jahre wird ihm nie verziehen werden, auch wenn Emil Fabjan neben seinen Kindern der Einzige sein wird, der an der Beerdigung teilnehmen darf.
Verzeihen stand ohnehin nicht auf der Habenseite bei Bernhard. Selbst Menschen, die er geliebt hat, verstieß er, versuchte sie gelegentlich zu vernichten. „Unleidlich“ ist sein Normalzustand. Auf das Leben des Bruders ist er eifersüchtig, weil der sich, aus kleinen Verhältnissen kommend, zum Internisten mit Auszeichnung hocharbeitet. Für Psychologen bietet der Band also reiches Material.
Ein Personaltableau aus allen Ständen
Der prägendste Eindruck seiner Kindheit – das Thema ist längst Gegenstand der Forschung – widerfährt Bernhard zweifellos durch den Großvater Johannes Freumbichler, einen weithin erfolglosen Schriftsteller, der das Talent des Enkels erkennt und fördert. Fabjan rückt Freumbichler in die Nähe eines Religionsstifters. Sein Sendungsbewusstsein habe ihm geholfen, die Selbstzweifel wegen seiner Erfolglosigkeit zu unterdrücken. Zeitlebens weigerte sich der Großvater, einer geregelten Arbeit nachzugehen.