: Pack das alles in einen Roman
- Aktualisiert am
Zwei Bücher von Bodo Kirchhoff sind in diesem Jahr erschienen. Das eine nennt sich Roman und ist ein Tagebuch; das andere tritt als Novelle auf und ist eine Erzählung. Man kann dieses Reden über Gattungsnamen für pfennigfuchserisch halten. Aber es rührt an den Kern von Kirchhoffs Schriftstellerei.
Zwei Bücher von Bodo Kirchhoff sind in diesem Jahr erschienen. Das eine nennt sich Roman und ist ein Tagebuch; das andere tritt als Novelle auf und ist eine Erzählung. Man kann dieses Reden über Gattungsnamen für pfennigfuchserisch halten. Aber es rührt an den Kern von Kirchhoffs Schriftstellerei. Denn dieser Autor, einer der begabtesten und ehrgeizigsten seiner Generation, setzt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Leser unter Druck. Wir sollen den Anspruch, mit dem er auftritt, nicht übersehen, wir sollen wissen, dass er in großen Formen denkt. Erzählungen schreibt jeder; der Könner verfasst Novellen. Und ist nicht jede Art von Lebensbericht auch ein Roman? Zum Klimmzug gehört, dass der, der ihn macht, in Gedanken schon den Kopf über der Stange hat, noch bevor er oben ist. So ist auch Kirchhoff seinem Schreiben immer ein Stück voraus.
Im August 2005 ist an einem See nahe Berlin der Neurologe und ehemalige Oberarzt Michael P. gestorben. Die Welt hat von diesem Tod nichts erfahren, denn P. war ein Mensch, "dem es letztlich nur ums Scheitern ging", ein Mann ohne Werk. Aber er war Kirchhoffs ältester Freund. "Eros und Asche", das Buch, das der Schriftsteller dem Toten gewidmet hat, beginnt mit der ersten Begegnung der beiden, in einem Internat am Bodensee: Ein Fünfzehn- und ein Vierzehnjähriger treffen einander am offenen Fenster des Schulheims, der Ältere bietet dem Jüngeren eine Zigarette an, holt sein Tonbandgerät heraus, spielt ein italienisches Lied ("Bella ciao"), und die Freundschaft ist geschlossen. Man möchte tief eintauchen in diese Welt der sechziger Jahre, der Schule, der Pubertät, aber da hält Kirchhoff das Erinnerungsband wieder an und erzählt von etwas anderem: davon, wie er, der Schriftsteller, nach einer Netzhautoperation aus dem Krankenhaus kommt, vom Licht gequält, unfähig zum Schreiben; und wie er sich dennoch hinsetzt, mit einer Sonnenbrille vor den schmerzenden Augen, um den letzten Wunsch seines Freundes zu erfüllen: "Pack unsere Dinge in einen Roman."
"Eros und Asche" ist die Verweigerung dieses Wunsches. Der Roman, den der sterbenskranke Freund sich vorgestellt haben mag, hätte von zwei Jungen im Internat handeln können, vom gemeinsamen Durchschwimmen des Bodensees, von Reisen nach Rom, Ravello und Portugal, vom Besteigen eines Berggipfels auf Teneriffa, von zu zweit bestandenen Liebes- und Leseabenteuern, von Erfolg und Misserfolg und von den Schmerzen, die es kostet, von der Jugend und voneinander Abschied zu nehmen, erst nur vorläufig und dann, irgendwann, für immer. Das Buch aber, das Bodo Kirchhoff geschrieben hat, handelt, obwohl es alle diese Dinge zur Sprache bringt, vor allem von Bodo Kirchhoff.