Navid Kermanis neuer Roman : Ein Buch wie eine Mehrzweckhalle
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Navid Kermani in der Situation, mit der sein neuer Roman beginnt: am Ende einer Lesung Bild: Imago
Man stelle sich „Tristram Shandy“ ohne Humor vor oder ein Werk von Thomas Mann ohne Ironie: Warum Navid Kermanis Roman „Sozusagen Paris“ völlig misslungen ist.
Wie man eine gute Geschichte über einen Schriftsteller erzählt, der nach einer Lesung einer früheren Geliebten begegnet, das hat John Updike in dem Meisterstückchen „Sein Œuvre“ gezeigt. Wie man es nicht macht, zeigt Navid Kermani in seinem neuen Roman „Sozusagen Paris“.
Bei Updike geht es natürlich viel um Sex. Bei Kermani geht es angeblich um Liebe – aber man hat immer eher das Gefühl, einer Soziologievorlesung über die moderne Partnerschaft beizuwohnen als einen Liebesroman zu lesen. Wenn man Updikes Geschichte in ein Wort fassen sollte, wäre es: Schlafwagensex. Bei Kermanis Roman wäre es: Mehrzweckhalle.
Große Liebe ohne Höhepunkt
In einer solchen nämlich findet die besagte Lesung des in Ich-Form erzählenden Schriftstellers statt, und ungefähr so erotisch wie das Wort Mehrzweckhalle sind die fast dreihundert folgenden Seiten Umstandskrämerei. Der erotische Höhepunkt besteht bei diesem Roman in einem einseitigen Wikipedia-Zitat zum Stichwort „Tantra“.
Aber auch strukturell passt der Begriff Mehrzweckhalle zum Buch, denn Kermani will einfach zu viel: nämlich einen literaturgeschichtlichen Essay über die Bildnisthematik beim Sichverlieben schreiben, angereichert um ellenlange Zitate und Interpretationen von Proust, Balzac, Maupassant und anderen, die bestimmt ein Drittel des Texts ausmachen. Er will eine Metafiktion schreiben mit einem Dichter-Erzähler, der dauernd den Leser anspricht, beim Schreiben schon die Reaktion seines Lektors antizipiert oder von dieser berichtet. Er will zusätzliche Intertextualität erreichen, indem er den Roman als Fortsetzung seines Romans „Große Liebe“ (2014) anlegt oder besser gesagt als Nachklapp dazu. Denn das Buch, aus dem der Ich-Erzähler hier vorliest, muss „Große Liebe“ sein, Kermanis Roman über die erste Begegnung mit jener Frau, die nun bei der Lesung auftaucht und nach der sich der Erzähler des vorliegenden Buches, wie er sagt, dreißig Jahre lang gesehnt hat. Kermani spielt vielfach mit Andeutungen, die ihn selbst mit diesem Erzähler gleichsetzen, zieht die Sache aber auch wieder in Zweifel.
Am Anfang denkt man noch ganz kurz, das könnte ja spannend werden: Diese Stimmung nach der Lesung, in der der Erzähler schon vollkommen fixiert ist auf die wiedergesehene Frau, seine Schulhofliebe, sich aber erst noch mit zahlreichen anderen Leuten abgeben muss, klingt witzig und verheißungsvoll: Er polstert sich „die Wirklichkeit mit weichem Plüsch aus, während der Kulturdezernent die Fahrtkosten in das Abrechnungsformular einträgt“, und malt sich bereits eine Nacht im Hotelzimmer oder ihrer Wohnung aus, nach der er in ihrem Arm aufwacht.
Sexualisierung der Gesellschaft
Doch es kommt anders. Er und die Frau, die er Jutta nennt, landen zwar in ihrer Wohnung, doch der Ehemann ist zu Hause, und es gibt Streit über Chipstüten und Kindererziehung. Des Gatten Rückzug ermöglicht es dem Erzähler immerhin zu bleiben, doch aus dem plüschigen Traum wird ein platonisches Sofagespräch, das die ganze Nacht dauert und in dem – wie er leider selbst früh verrät! – „nichts Spektakuläres“ passieren wird.