Roman von Monika Fagerholm : Das Gewissen spricht ihn nicht frei
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Idylle und Gewalt: In der Seenlandschaft bei Helsinki fand das Verbrechen statt Bild: Mauritius
Monika Fagerholm ist hierzulande noch zu entdecken: Ihr fulminanter Roman „Wer hat Bambi getötet?“, übersetzt von Antje Rávik Strubel, handelt von einem grausamen Verbrechen. Bisweilen bebt er vor Wut.
Monika Fagerholm ist hierzulande praktisch unbekannt. Eine Stichprobe im deutschsprachigen Zeitungsarchiv seit dem Jahr 2004 wirft genau vier Artikel aus. Das ist wenig – und umso erstaunlicher, als die finnische Schriftstellerin schwedischer Sprache, die 1961 in Helsinki geboren wurde und spätestens seit ihrem Erfolg mit „Das amerikanische Mädchen“ 2005 in den nordischen Ländern eine feste Größe ist, mit Auszeichnungen bedacht wurde, darunter der renommierte Nordische Preis der Schwedischen Akademie. Erhalten hat sie diesen für ihren letzten Roman, „Wer hat Bambi getötet?“, von 2019, der jetzt in der Übersetzung von Antje Rávik Strubel auf Deutsch erschienen ist. Die übersetzende Schriftstellerin hat nicht nur Großes geleistet; sie wirbelt, ungewöhnlich genug, noch dazu, wenn sie den unverwechselbaren Sound von Fagerholms atemloser Prosa herausstellt: „punkig, bissig, zärtlich“. Und sie hat recht. Höchste Zeit, sich mit Monika Fagerholm auch hierzulande zu befassen.
Denn es ist tatsächlich sein außergewöhnlicher Ton, der diesen Roman ausmacht, in dessen Zentrum ein Verbrechen steht: die brutale Gruppenvergewaltigung in der märchenhaften Seenlandschaft unweit von Helsinki. Doch die Erzählung will nicht etwa erörtern, wer wohl die Täter sind, diese stehen von Anfang an fest. Der Roman ist vielmehr ein dichtes Geflecht aus Geschichten, Erinnerungen und Dialogen, um aufzuzeigen, was die Vergewaltigung überhaupt erst möglich gemacht hat.
Idylle und Bedrohung
Der Hauptverantwortliche für die Tat, die Jahre zurückliegt, ist Nathan, Sohn einer angesehenen Familie, die nach dem Verbrechen, das in ihrem Haus stattfand, zerbricht. Das Opfer, Sascha, stammt aus einem Schutzheim für junge Frauen. Jahre später wird sie im fernen Amerika an einer Überdosis Drogen sterben. Das Motiv für die Tat war schlicht Rache: Sascha hatte Nathan einst abserviert. Vor Gericht aber will die junge Frau nicht gehen; sie schweigt, weshalb das Geschehen am Ende nicht durch das Opfer, sondern durch eine Kamera bezeugt wird, die alles aufgezeichnet hat.
Monika Fagerholms Text ist verblüffend schlagfertig und zugleich literarisch souverän. Kreiselnd bewegt er sich vor und zurück, ist gespickt mit kulturellen Anspielungen, wie schon der Titel zeigt, der von Felix Saltens Bambi-Roman aus den Zwanzigerjahren über die berühmte Disney-Verfilmung bis zum gleichnamigen Song der Sex Pistols einen breiten Resonanzraum stimuliert. Was sich in den vielen unterbrochenen Sätzen, den Klammern und Zitaten versteckt, ist die eine Wahrheit, die seither über dem Ort hängt wie drückender Nebel und alle trifft, egal wie sehr sie sich dagegen wehren: Es ist geschehen, und es tut weh.
Die verstörende Gleichzeitigkeit von Idylle und Bedrohung erinnert an die Titelmelodie aus David Lynchs Serie „Twin Peaks“. Monika Fagerholm aber treibt sie bis ins Äußerste. Der schreckliche Ernst, der hier verhandelt wird, trifft auf eine große Verspieltheit in der Sprache. Und es ist diese Sprache, die die Fragmente der Erlebnisse zusammenhält. Die getriebene Rhetorik verkürzter Sätze und abgehackter Zeilen, die zwischen den Ebenen hin und her springen, setzt eine rhythmische Prosa ins Werk, die fasziniert.