Michael Köhlmeiers neuer Roman : Männerbilder, aufgemischt
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Kraftmeier und Watschenmänner: beim „Hau den Lukas“ im Wiener Prater zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bild: picture alliance
Im Anfang war der Name, und der Name war „Frankie“: Michael Köhlmeier reißt in seinem neuen Roman die Mauern der gesellschaftlichen Ordnung ein.
Kaum gerät er in die Fänge seines Großvaters, wird der vierzehnjährige Frank zu Frankie, seine Mutter zu einem Schatten ihrer selbst und Moral zum bloßen Hindernis. Als der mysteriöse Alte nach achtzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, ist er nämlich keinesfalls gebrechlich und zahm. Vielmehr überragt er sie, trotz schiefem Stand, alle und teilt schon bei erster Gelegenheit ordentlich aus. Die eingeschüchterte Tochter schickt er kurzerhand fort, um sich den Enkel genüsslich einzuverleiben, ihn unerbittlich zu zermahlen und völlig entstellt wieder auszuspucken. Zumindest dessen Namen: „Du bist Frank, ha! Frankie. Frankie Boy, ha! Little Frankie Boy“, versetzt er ihn mit immer mehr Beiwerk, bis vom eigentlichen Kern kaum mehr etwas übrig bleibt.
Gerade hat sich Michael Köhlmeier noch dem felligen Universalgelehrten „Matou“ als scheinbarem Vorbild von E.T.A. Hoffmanns Kater Murr zugewandt und große Schritte durch die Weltgeschichte gemacht, nun legt er mit „Frankie“ einen kurzweiligen Roman über einen Zeitraum von wenigen Wochen vor. Philosophisch wird es darin dennoch, immerhin geht es um die Beliebigkeit von Gewalt und darum, was Männlichkeitsbilder anrichten können. Aber im Kern geht es um einen Namen.
Letztlich kein Entkommen
Es ist gewiss nichts Neues, dass der Name als literarisches Machtinstrument dient. Nabokov legte die wohl eindrücklichste Passage vor, als er Humbert Humbert den Kosenamen seiner gerade zwölfjährigen Angebeteten mit der Zunge nachfühlen und – „Lo-li-ta“ – anstelle des Mädchens beherrschen ließ. Andererseits ist der Familienname gern auch Hindernis, etwa für das wohl berühmteste Liebespaar der Weltliteratur. „Was ist ein Name?“, versucht Shakespeares Julia zur bedeutungslosen Hülle zu machen, was doch schicksalhaft ist, um so dem Sog der Familienfehde zu entrinnen. Letztlich gibt es aber kein Entkommen, auch nicht in Köhlmeiers neuem Roman.
Dabei fängt es abseits der Reibereien mit dem Großvater gar nicht so schlecht an. Gemeinsam mit seiner Mutter, die bloß in ihrer Rolle als „Mama“ existiert, lebt Frank Thaler in der Blechturmgasse im vierten Bezirk Wiens und damit mitten in einer Welt, der er vollends angepasst ist. Sonntags gehen die beiden im Prater spazieren, am Abend dirigiert er für sie die Titelmelodie des „Tatorts“, mittwochs übernimmt er das Kochen, und überhaupt ist immer alles harmonisch zwischen den beiden. „Bis Opa aufgetaucht ist, waren wir beide, Mama und ich, die ersten Menschen“, vergleicht der vierzehnjährige Icherzähler das Leben Hochparterre mit dem Garten Eden.
Zunächst verdeckt die absonderliche Ausdrucksweise des Protagonisten, was sich im weiteren Verlauf immer mehr aufdrängt: Die paradiesische Harmonie entstammt dem Bedürfnis der Mutter, ihr Trauma als Tochter eines Straftäters und vom dominanten Kindsvater verlassene Alleinerziehende zu überschreiben und dabei all das auszuklammern, was sie als maskulin und gefährlich empfindet – auch in Bezug auf den vorpubertären Sohn, dessen Emanzipation aus der mütterlichen Idylle nicht vorgesehen ist. Entsprechend ist die Entlassung des Großvaters für den Enkel eine Art Befreiungsschlag qua verspäteter Abnabelung aus dem ödipalen Konstrukt: Versteht Frank sich zu Beginn noch als „einer aus der Welt“ und reicht dem „Alien“ zum Wiedereinstieg die Hand, nähert er sich zunehmend dem ungehaltenen Großvater an und entdeckt in dessen küchenphilosophischen Monologen über Moral und Motive neue, männlich codierte Handlungsspielräume für sich.