Martin Mosebachs „Türkin“ : Die sorglose Pumphose
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Diesem Roman fehlt, was andere Werke Martin Mosebachs auszeichnet: die Angriffslust der Phantasie auf die Bequemlichkeit. „Die Türkin“ dümpelt als Geschichtsphilosophie in eher unaufgeregtem Gewässer.
In Frankfurter Waschsalons wohnt das Schicksal. Schon mancher wurde hier aufs Rad der Fortuna geflochten, das sich mit ungebremstem Schaum im Takt der Trommeln drehte. So geschieht es auch dem Unbedarftling in Martin Mosebachs neuem Roman, einem namenlosen Ich-Erzähler und Kopfsprecher der eher tatgehemmten Art. Ihm begegnet in diesem chemischen Dampfbad eine Türkin, die ihm den Sinn verschleiert. Wenige Streitworte genügen, und verloren ist er für den grauen Alltag am Main. Getroffen hat ihn der Anhauch eines großen Gefühls, ein erotischer Cäsarismus: Er kam, sah und liebte. Fortan jagt er der schönen Pupuseh hinterher, der blauen Blume Lykiens. Erst eine Woche und 200 Seiten später findet dieser lakonische Liebesdialog seinen Fortgang und Schluß. Dazwischen liegt ein Stück Türkei, das gleichermaßen Platz hat für maschinelle Forellenzucht und den Harem, Atatürk und Muezzin. Mosebach wagt eine Reisebeschreibung, in deren Verlauf der ethnologische Held sich selbst fremd wird. Multikulturell ist dessen eigener Charakter, der sich unter den Lese- und Seheindrücken zerlegt. Beobachten darf er am Ende nur noch, daß er nichts mehr tun kann.
Wenn der Leser auf Mosebachs Antihelden trifft, steht dieser lustlos und wahlverdrossen am Scheideweg. Die Universität hat er soeben verlassen, nachdem ihm die Rache einer telefonbuchdicken und ebenso unaufregenden Dissertation gelungen ist. Von Freunden erfährt man nichts, weil es keine gibt. Griesgrämig und altklug panzert er sich in ein Leben ein, das unterhalb jeder Sympathieschwelle dahindümpelt. Bevor der Kältetod unserer Anteilnahme eintritt, verspricht ein Angebot unmotivierte Rettung. Ein aus dem Literaturhimmel gefallener, legendärer Antiquar sucht einen Assistenten für New York. Ausgerechnet der Permanenznörgler soll geeignet sein, Arbeit und Leben dieses bizarren Greises fortzusetzen, der Frauen und Bücher immer noch mit gleicher Sorgfalt behandelt. Wo diese listige Lebensmumie in jeder ihrer Charakternischen ein Geheimnis verbirgt, sitzt beim Erzähler nur schlechte Laune. Bevor man Mosebach wegen dieser Zumutung an die Wahrscheinlichkeit gram sein kann, schickt er seinen Helden in den Waschsalon. Dort aber wandelt niemand ungestraft.
Denn Pupuseh bezahlt die keusche Begegnung in der Schwüle der Wäschetrockner mit ihrer Verschleppung. In der lykischen Heimat will ihre Familie sie vor der männlichen Nachstellung schützen. Ihr Verschwinden macht den Grämling zum Helden eines Liebesromans, weil er jetzt tut, was man zumindest im Roman bis 1800 sicher von ihm erwarten konnte: den Verstand auszuschalten und der Fernliebe hinterherzureisen. Mit Flugzeug und Wagen, einem kleinen Wörterbuch und keiner Ahnung bricht er ins Nachbardorf Yakaköy auf. Inmitten dieser endlos leeren Landschaft am Taurusgebirge, die aus der Gegenwart herausgefallen scheint, ist er von nun an mit dem Leser allein. Für beide beginnt eine Zeit des Leidens.Yakaköy, Girmeler, Gelemis: Die Namen dieser archaischen Ansiedlungen sollen Poesie versprechen. Das Treiben der Welt braucht sie nicht zu bekümmern, weil sie genug Geschichte hinter sich haben. Großartige Ruinen einstmals griechischer Städte werden aus der roten Stauberde freigeweht. Nachlässig werden diese Reste in die Hütten eingebaut, dienen als Fußboden oder Mauerbruch. Aus der Ärmlichkeit leuchten zerbrochene Reliefs und zerschlagene Statuen hervor. Den Einwohnern gilt dieser Schatz nur als gleichgültiges Baumaterial. Die Vergangenheit ist standsicher, weil man sie mit Füßen treten kann.