Buchrezension Ammann-Verlag : Luftikus aus Leidenschaft
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Egon Ammann Bild: Picture Alliance
Postume Festschrift: Ein Sammelband über den Schweizer Verleger Egon Ammann lässt Autoren und Sympathisanten eines der wagemutigsten deutschsprachigen Literaturprogramme Bilanz ziehen.
Das Schlussbild des Verlegers Egon Ammann stammt von seinem früheren Autor Navid Kermani. Erhabene Ambivalenz: Vergeblichkeit strahlt es ebenso aus wie finales Beharren, Einsamkeit ebenso wie unantastbare Würde. Aber beginnen wir von vorn. Vom Herbst 1981 an hat der Ammann Verlag fast drei Jahrzehnte lang in Zürich residiert und schon wenige Jahre nach der Gründung zu den ersten Buchadressen in deutscher Sprache gezählt. Mehr als siebenhundert Titel umfasste das Verlagsprogramm am Ende, darunter die Werke des Schweizer Gegenwartsklassikers Thomas Hürlimann – mit dessen Erzähldebüt „Die Tessinerin“ debütierte auch der Verlag – und des Nigerianers Wole Soyinka, der 1986 als erster Autor Afrikas den Nobelpreis für Literatur erhielt. Im Sommer 2009 beschloss das Verlegerpaar, Ammann selbst und seine Frau Marie-Luise Flammersfeld, das Unternehmen zu schließen, im Frühjahr 2010 war Programm-Dernière. Mögliche Nachfolger schienen den beiden nicht in Sicht, an einen Konzern wollten oder konnten sie nicht verkaufen, zudem war der damals fast siebzigjährige Ammann gesundheitlich angeschlagen. Seinen Lebensabend hat er in Berlin verbracht. Im September 2017 ist er dort gestorben.
Irgendwo an Berlins Peripherie, erzählt nun Kermani im Sammel- und Gedenkband für Egon Ammann und dessen Verlag, habe der Altverleger gleich nach dem Rückzug ins Private eine Fabrikhalle gemietet, um die Züricher Lagerbestände und Teile seiner Privatbibliothek unterzubringen: „von A wie Aischylos bis Z wie Zwetajewa“. Aus der Wohnung in Friedenau sei Ammann mehrmals im Monat an den Stadtrand gefahren. Nein, zu tun gäbe es dort nichts mehr, erzählte er: „Er wolle nur dort sein.“ Kermani fügt hinzu: „Ich stelle mir vor, wie Egon dann zwischen den Regalen stand, in denen seine Bücher aufgereiht waren: er stumm, sie stumm, völlige Stille.“ Auf drei weiteren Seiten deutet Kermani sein Schlussbild dann symbolisch aus, mit jedem neuen Einfall aber – die Rücken der Bücher etwa verwandeln sich „in lauter Grabsteine“ – schwächt er es auch ab. Angemessener ist, man belässt es bei der initialen Hemingway-Lakonie vom alten Ammann im stumm gewordenen Bücherreich.
Ein Aufsteiger und Selfmademan
Das Ammann-Gedenkbuch ist vieles in einem: ein Gesamtkatalog des Verlagsschaffens nebst einer Liste sämtlicher Mitarbeiter aus drei Jahrzehnten, ein virtuelles Verlagsmuseum mit den schönen, von Marie-Luise Flammersfeld inspirierten Buchumschlägen, ein Festivitätenalbum verlegerischer Geselligkeit und Lebensfreude, an erster Stelle jedoch die beeindruckende Chronik hochfliegender Geistes-Aventüren und Poesie-Emphasen. Ebenso beiläufig wie diskret muss deshalb auch vom Scheitern die Rede sein, von abgebrochenen Autorenviten und unvollendeten Großprojekten. Zumindest summarisch wird materielle Bilanz gezogen: Eher seltenen Aufschwüngen in Bestsellerhöhen – an der Spitze: Eric-Emmanuel Schmitts Erzählband „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von 2003 – korrespondiert das dauerhafte Balancieren über dem finanziellen Abgrund. Ohne die beiden, inzwischen ebenfalls verstorbenen Mäzene, den Schweizer George Reinhart und die große Frankfurter Verlegerin Monika Schoeller, wäre die stupende Abenteuergeschichte des Ammann Verlags nicht möglich gewesen.
Ja, pekuniär war Egon Ammann durchaus ein Hasardeur, ein wagemutiger, deshalb ganz unschweizerischer Luftikus aus Leidenschaft für die Literatur. Aus einfachen, buchfernen Verhältnissen stammend, wurde er Aufsteiger und Selfmademan in beider Wörter bestem Sinn. Welche Wege – Sackgassen wie Prachtstraßen – dieser zeitgenössische Simplicissimus dabei ging, lässt sich in Hürlimanns nobel-heiterer Würdigung am Beginn des Buchs fast märchenhaft nacherleben. In der Dienerrolle zuerst des Buchhändlers, dann des Verlegers hat Ammann von der Weltliteratur produktiven Besitz ergriffen, um sie, wie im Fall des Portugiesen Fernando Pessoa, für die deutschsprachigen Leser überhaupt erst zu entdecken oder, wie bei Dostojewskij, durch die Neuübersetzungen von Swetlana Geier auch einer neuen Generation zu erschließen. Sohn eines Berner Polizisten und einer vor den Nationalsozialisten geflohenen deutschen Mutter, hat er seine jüdische Herkunft öffentlich nie erwähnt. Der erhellende Beitrag von Halina Bendkowski erklärt die persönlichen Gründe dafür und die professionellen Konsequenzen daraus: Ein zentrales Segment im Verlagsprogramm waren poetische, erzählerische und essayistische Bände über die jüdische Kultur wie über den Holocaust, von Autoren wie Walter Dirks, Georges-Arthur Goldschmidt oder Abraham Sutzkever.
Über Sutzkever, den jiddischen Dichter, und dessen deutschen Übersetzer Hubert Witt schreibt Wolf Biermann, der selbst nie bei Ammann publizierte, einige hinreißende Zeilen – und widmet sie Sutzkevers Verleger postum. Eine postume Festschrift: Das ist die Sammlung „Egon Ammann und sein Verlag“ natürlich zuallererst. Gut vierzig Beiträger, einstige Haus-Autoren wie bleibende Sympathisanten, inszenieren eine Symphonie aus Donnerhall und Sphärenklang, aber auch mit Ironiepausen und Reminiszenzen in Moll. Was bleibt? Der Romancier Ulrich Peltzer resümiert: „Vertrauen; er vertraute mir, ich vertraute ihm.“ Der Dichter Wulf Kirsten schließt: „Er war mit Abstand mein bester Verleger.“ Gut möglich, dass wir uns schon in naher Zukunft an Egon Ammann mit seinem eigensinnigen Weltliteratur-Programm aus Poesie und Reflexion als einen der letzten unabhängigen Verleger erinnern werden, die das Büchermachen auf Papier noch hochgehalten haben. Tröstlich mutet es deshalb an, dass die Ammann-Festschrift im Wallstein Verlag erschienen ist, wirkt Thedel von Wallmoden, dessen Gründer und Chef, in manchem doch wie ein beherzter Nachfolger.
Ingrid Sonntag, Marie-Luise Flammersfeld (Hrsg.): „Einem Stern folgen, nur dieses . . .“ Egon Ammann und sein Verlag.Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 344 S., geb., 24,– €.