László Krasnahorkai: Seiobo weilte auf Erden : Gegen die Zudringlichkeit der Kostümbildner
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Bild: S. Fischer
Melancholischer Widerstand:Der ungarische Schriftsteller László Krasznahorkais erforscht in seinen neuen, ebenso meditativen wie tröstlichen Erzählungen das Wesen der vollkommenen Schönheit, deren Preis stets Erschöpfung und Besessenheit ist.
Im Rückblick auf die Zeit der Diktatur schrieb Peter Estérhazy einmal, die Situation des Schriftstellers dort sei „sehr angenehm (höchstens sein Leben ist schwer), es ist angenehm, weil er seinen Platz darin genau kennt“. Dem widerspricht der vier Jahre jüngere, ebenfalls in Ungarn geborene Lásló Krasznahorkai heftig, denn einen angenehmen Platz kann es in einer Diktatur nicht geben – wie ironisch auch immer man ihn formuliert. In seinen wütenden und tief melancholischen Romanen „Satanstango“ und „Melancholie des Widerstands“ hat er so genau und radikal wie kein anderer Autor seiner Generation die seelischen Verletzungen geschildert, die eine Gewaltherrschaft den Menschen zufügt: Nicht nur die Dörfer drohten in Einsamkeit und Schlamm zu versinken, auch ihre Bewohner waren verroht und verlassen. Durch die alltägliche, demütigende Not hatten sie jedes Gefühl für Würde und Schönheit verloren und behandelten alle, auch sich selbst, brutal und verächtlich.
Mythenwelt Japans
In einer anderen Diktatur, in Peking, erlebte Krasznahorkai Anfang der neunziger Jahre seine „danteske Wende“, und beschloss, sich direkt den „sehr tiefen Fragen“ zuzuwenden (die er vorsorglich in Anführungszeichen setzte). Sie stehen auch im Zentrum seines neuen Erzählungsbandes „Seiobo weilte auf Erden“, der nicht zufällig in Japan spielt: „ein verschrecktes Augenpaar, ein irr gewordener Blick, ein verschrobenes Gehirn“ können sich in diesem Land erholen, befand schon der Erzähler seines wunderbaren kleinen Romans „Im Norden ein Fluss, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluss“, mit dem Krasznahorkai tief in die Mythenwelt Japans eintauchte, ohne jedoch, bei aller Begeisterung, seinen eigenen Blick aufzugeben oder das Unbekannte blind zu idealisieren. In seinen neuen Erzählungen geht er sogar mit der Etikette und den eisernen Hierarchien des Landes hart ins Gericht und spricht von einem Gefängnis des Anstands und der „Richtigen Einstellung“, das aus ganz Kyoto „ein Labyrinth endloser Verschlingungen des vorgeschriebenen Bezugs zu den Dingen“ macht („Der Kamojäger“).
Seine tölpelhaften, sehnsüchtigen Reisenden suchen keine überirdischen Tröstungen, während sie mit knallenden Schuhen und vor Schüchternheit schwitzend durch Heiligtümer und Kunstsammlungen eilen, sondern den sehr konkreten Sinn in unserem irdischen Chaos, das von den Wolken bis zu den Ameisen reicht, also die ganze, in tobender Bewegung wirbelnde Welt umfasst, mit durcheinander flirrenden Stimmen, Düften und Bildern. Und sie finden ihn – in siebzehn mitreißenden Geschichten, in verschiedenen Zeiten und auf zwei Kontinenten, denn er trifft sie wie ein Blitzschlag und ist nur schwer auszuhalten.
Sehnsucht nach Auflösung
Der makellos schöne, schneeweiße Fischreiher jedenfalls, der in der programmatischen Anfangsgeschichte ein subtiles Bild für die Anmaßung und Hoffnungslosigkeit des ganzen Unternehmens abgibt, steht ungerührt im schmutzigen Flusswasser. Sein Anblick schenkt dem Suchenden einen jener geglückten Augenblicke, die aus der Zeit fallen und brutal evident sind, die Unruhe und Schmerz erzeugen, oder, ganz im Gegenteil: tiefste Geborgenheit vermitteln, bis zur Sehnsucht nach Selbst-Auflösung. Diese Augenblicke, von denen Krasznahorkais meisterhafte Geschichten erzählen, sind innerlich dem geglückten Tag bei Peter Handke verwandt, und haben eine ähnlich schwebende, offene Brisanz.
Gerade in der Leichtigkeit zeigt sich die Qualität dieser Geschichten, die von Bildern der Vergänglichkeit und Trauer durchzogen sind. Mehr als einmal erheben die Dämonen ihre Stimme, „sie brüllen im Dunkeln, mit weitaufgesperrtem Maul, die herausquellenden Augen verschleiert, sie brüllen, aber von diesem Brüllen und von diesem Dunkel, von diesen Mäulern und von diesen Augen kann man nichts sagen, kann mit Wörtern nur darum herumgehen, wie ein Bettler mit hingehaltener Hand“.