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Neuer Roman von Dan Brown : Ein bisschen Erbauung schadet nie

„Einst war für uns alle die Natur der Mittelpunkt des Glaubens“, heißt es bei Dan Brown: Das Deckengewölbe von Antoni Gaudís Basilika Sagrada Família in Barcelona. Bild: Imago

Heute erscheint auf der ganzen Welt „Origin“, der neue Roman von Dan Brown. Steht darin eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung? Jedenfalls gibt es eine scharfkantige Pointe.

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          Was, wenn ein Supercomputer existierte mit zwei Hemisphären wie das menschliche Gehirn, der Antworten auf die zentralen Fragen der Menschheit ausrechnen kann: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Diese Antworten würden nicht nur die drei großen Weltreligionen mit ihrem Schöpfergott in den Grundfesten erschüttern, sondern die gesamte Menschheit, wenn es nach Dan Brown geht. Er spielt das Modell in „Origin“ durch, dem neuen Roman, der heute weltweit erscheint. Dafür zieht er einmal mehr alle Register, in denen seine nicht geringe Phantasie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Perspektiven amalgamiert ist.

          Rose-Maria Gropp
          Redakteurin im Feuilleton.

          Zur Mithilfe herangezogen werden Geistesgrößen wie William Blake, Friedrich Nietzsche, Charles Darwin und Winston Churchill oder auch Antoni Gaudí und Paul Gauguin. So hängt Gauguins berühmtes riesiges Querformat „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“, das unsereiner im Museum of Fine Art in Boston vermutet, nämlich in Barcelona in der sehr ungewöhnlichen Wohnung von Edmond Kirsch. Die befindet sich im musealen Dachgeschoss der Casa Milà, dem spektakulären Wohnkomplex des Architekten Gaudí. Kirsch ist – genauer: war, weil er nach einer relativ kurzen leiblichen Präsenz im Roman bedauerlicherweise tot ist – Futurologe, glühender Atheist und Multimilliardär. Mit seinen Theorien hat er schon globales Aufsehen erregt, nun aber steht sein ultimativer Schlag ins Kontor von Kreationismus und menschlicher Selbstgewissheit unmittelbar bevor. Edmond Kirsch war einer der ersten Studenten von Browns „Illuminati“-Figur Robert Langdon, längst sind sie Freunde. Wieder ist Langdon, der wohlerzogene elegante Professor für Kunstgeschichte und Symbologe aus Harvard mit seinem fotografischen Gedächtnis und seiner Klaustrophobie, der Protagonist.

          Unerwartete Kalamitäten stoßen Langdon diesmal in Spanien zu. Sie führen nicht nur tief in die Geheimnisse des Palacio Real in Madrid, wo es einen sterbenden König samt seinem sturzkatholischen Berater Bischof Antonio Valdespino und einen Prinz Julián in Wartestellung gibt. Sie berühren auch den Kreis der erzreaktionären palmarianisch-katholischen Kirche mit ihrer gigantischen Kathedrale in Palmar de Troya. Langdons Nachforschungen zeitigen wilde Verschwörungstheorien im World Wide Web – und vor allem führen sie, auf der Jagd nach Kirschs Vermächtnis, ins kryptische Herz der KI, der Künstlichen Intelligenz und ihrer bisher nur geahnten Möglichkeiten.

          Dan Brown: „Origin“
          Dan Brown: „Origin“ : Bild: Lübbe Verlag

          Die Romane des amerikanischen Autors, 1964 in New Hampshire geboren, handeln stets von Gott und der Welt, von Kunst und Wissenschaft, drunter tut er es nicht. In „Origin“ ist das auf die Spitze getrieben, geht es doch um nichts Geringeres als den Ursprung der Menschheit, des Lebens überhaupt und um die Perspektive der Evolution. Das hätte krachend schiefgehen können. Ist es aber nicht. Dabei geht doch Dan Brown gar nicht – für den kultivierten Anspruch. Aber irgendjemand muss seine Bücher ja lesen, wenigstens kaufen. Dafür steht eine weltweite Auflage von mehr als zweihundert Millionen Exemplaren bisher, übersetzt in 56 Sprachen (die müssen einem erst mal einfallen). Vielleicht sind doch nicht alle seine Leser so doof. Was sich Brown wahrlich nicht unterstellen lässt, ist Ungebildetheit – und Arroganz; darin unterscheidet er sich von seinen so souverän intellektuellen Gegnern.

          Er ist ein Erzähler, an dem ein Lehrer verlorengegangen ist, ein bisschen sogar ein Erbauungsprediger, das macht ihn nicht unsympathisch – und „Origin“ nicht langweilig. Nach einem etwas zähen ersten Drittel, in dem vor allem jede Menge Personal geklärt werden muss, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Ihren Fortgang hier zu enthüllen wäre eine Gemeinheit. Verraten sei, dass ganz am Schluss noch eine sehr scharfkantige Pointe auf leisen Sohlen daherkommt. Selbst Langdon hatte diese Wendung nicht auf dem Zettel. Ihre Tragweite, die keineswegs völlig aus der Luft gegriffen ist, hat wirklich das Potential des Schreckens.

          Alles beginnt, nach dem Vorspiel in der legendären Abtei Montserrat, mit einem „Event“ in Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao: Dort will Edmond Kirsch, Herrscher über die computerbasierte Spieltheorie, seine bahnbrechende „wissenschaftliche Entdeckung“ verkündigen; Ambra Vidal, die selbstredend bildschöne Direktorin des Guggenheim, hat ihm für die multisensuale Performance ihr Haus geöffnet. Ehe Kirsch richtig beim Thema ist, wird er vor Publikum und laufenden Kameras, die das Spektakel im Internet verbreiten, erschossen. Nun beginnt das typisch mit Cliffhangern und unvorhersehbaren Volten inszenierte Dan Brownsche Jagdszenario: Denn Langdon, dem unerwartet eine Rolle bei Kirschs Auftritt zugefallen war, haut im entstandenen Chaos mit Vidal, die obendrein die Verlobte des Kronprinzen Julián ist, ab. Das Ziel der beiden ist es, sich Zugang zu Kirschs durch ein komplexes Passwort abgesicherter Videoshow zu verschaffen, um seine revolutionären Erkenntnisse der ganzen Welt im Netz zu offenbaren. Ob das gelingt oder nicht, sei hier verschwiegen. In Erwartung der Show sind allerdings weltweit rund 230 Millionen Menschen an ihren Geräten zugeschaltet.

          Bei Brown wird noch jede Flucht zum didaktischen Sightseeing, diesmal gibt es Wissenswertes zu Gaudís organoider Basilika Sagrada Família in Barcelona, außerdem zu El Escorial und zum Valle de los Caídos, des faschistischen Diktators Franco monströsem Mausoleum. Wieder geschieht alles an einem einzigen Tag, genauer in einer sehr langen Nacht. Beinah ständiger Begleiter von Langdon und Vidal ist „Winston“, der Name ist eine Homage an Churchill. Winston ist eine heimliche Hauptfigur, obgleich er körperlos ist, nur als Stimme in einem Headset oder aus dem Phablet von Kirsch existiert. Denn Winston ist eine von Kirsch als Interface erschaffene Künstliche Intelligenz, die lernfähiger ist als jede bisher existierende KI. Winstons ephemere Präsenz bleibt aufregend bis zum Schluss, er ist der Vollstrecker der Wünsche seines Herrn, über die Verkündigung von dessen Botschaft hinaus. Vielleicht ist Winston Kirschs wirkliches Vermächtnis.

          In „Origin“ geht es wesentlich auch um Fanatismus, aber Brown vermeidet jeden direkten Bezug auf den islamistischen Terror, wie er gerade in Barcelona mit dem Anschlag auf die Ramblas im vergangenen August stattfand. Er spielt freilich auf die Motive religiösen und ideologischen Wahns an. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Spanien, der Zerrissenheit durch den katalanischen Separatismus, ist das Schicksal der spanischen Monarchie aus der Tradition der Reyes Católicos heraus, das in „Origin“ mitverhandelt wird, eher eine nostalgische Petitesse. Aber niemand hat je ernsthaft vermutet, dass Dan Brown historische Romane schreibt, und „Origin“ unterhält ziemlich gut; das ist schon eine ganze Menge.

          Verlassen wir die Ursprungssuche nach 670 Seiten Lebenszeit, begleitet von Robert Langdons sophistischem Grübeln: „Wenn die Naturgesetze so umfassend sind, dass sie ausreichen, um Leben zu erschaffen – wer hat dann die Naturgesetze erschaffen?“

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