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Karl May : Vom Schund empor ins Reich der Edelfedern

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Bild: Siedler Verlag

Zum Jubiläum scharen sich Kenner und Liebhaber um das Lagerfeuer ihrer Jugendträume: Hundert Jahre nach seinem Tod wird Karl May jedoch mehr interpretiert als gelesen.

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          Der Tod, erklärt Kara Ben Nemsi dem kleingläubigen Hadschi Halef Omar einmal, „ist für mich nicht vorhanden“. Und tatsächlich: Auch wenn Karl May am 30. März 1912 in die ewigen Jagdgründe (angeblich mit dem letzten Seufzer „Sieg, großer Sieg! Ich sehe alles rosenrot!“) entrückt wurde, lebt sein Mythos augenscheinlich fort. In seinem Geburtsort Hohenstein-Ernstthal feiert man seinen hundertsten Todestag mit dem Event „Karl May lebt“, im Katholischen Familienbildungsheim Meckenheim „liest und lebt“ ihn ein Schauspieler. Nürnberg würdigt den Unsterblichen mit einem Karl-May-Literaturgottesdienst von Dekan Krieghoff, Berlin mit einer Karl-May-Filmgala mit Atze Brauner, Spiekeroog mit einem Liederabend mit Karl-May-Kompositionen. In Radebeul wird der Karl-May-Erlebnispfad eingeweiht, in München erinnert die Lesung „Verdimmi-verdammi“ an die enge Beziehung zwischen Winnetou und Wurzelsepp. Karl Hohenthal, besser bekannt als Franz Xaver Kroetz, hat soeben mit „Hadschi Halef Omar im Wilden Westen“ das Werk des Maysters um neue Abenteuer und einige Squaws bereichert.

          Martin Walser hat ihn „unter der Bettdecke mit der Taschenlampe“ gelesen und beim Wiederlesen für das Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft sofort wieder Feuer gefangen. Sattelt mir noch einmal das Musenross Hatatitla, zündet die Hirschtalgkerzen an: So viel Großes und Schönes hat Karl May geschrieben, noch Edleres gewollt, aber übel hat man ihm seine „vor keiner Niedertracht kapitulierende Menschlichkeit“ gelohnt. Empor ins Reich der Edelmenschen? „Da grinse, wer kann.“ Vom blinden, verwirrten Proleten zum missionarischen Seher, vom Kegeljungen zum „letzten Großmystiker“ (Arno Schmidt), vom Kerzendieb und Hochstapler Dr. Heilig zur Lichtgestalt: Karl Mays Biographie folgt so offensichtlich den Mustern von Heilsgeschichte und Kolportage, dass man auch seine letzte rosenrote Vision für eines seiner reißenden Märchen halten könnte. Selbst sein Verleger Ernst Fehsenfeld sah ihm ja von weitem den „leichten Schwung von Reiterbeinen“ und das „energische Kinn“ Old Shatterhands an. Wenn ein 1,65 Meter großer Hänfling Millionen von Leser in seine folie à trois (“Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle“) einzuspannen vermag, kann er auch dem Tod mit seiner Alten Schmetterhand ein Schnippchen schlagen.

          Man kennt nur noch Parodien von Parodien

          Allein, so emsig und sentimental gerührt sich ältere Blutsbrüder und grauköpfige Professoren (Frauen sind in den dark and bloody grounds der May-Literatur noch rarer als im Wilden Westen) über ihre erste Lese-Liebe beugen und noch die verborgensten Hide-Spots von Leben und Werk psychologisch, soziologisch, theologisch und ethnologisch ausleuchten: Wirklich gelesen wird der „Shakespeare der Jungens“ (Ernst Bloch) nicht mehr, jedenfalls nicht unter der Bettdecke und mit pochend heißem Herzen. Nicht zufällig wohl fielen der Beginn der May-Forschung und die Gründung der Karl-May-Gesellschaft in den sechziger Jahren mit seinem Niedergang als Volksschriftsteller zusammen. „Der Schuh des Manitou“ ist eine Art „Sitara“ für Nichtleser.

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