Roman „Schläge“ : Die Ehe als Umerziehungslager
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Sätze wie Hiebe: Die indische Autorin Meena Kandasamy. Bild: Picture-Alliance
Wenn der Gatte zum Politkommissar wird, helfen Bildung und feministische Überzeugung nicht mehr viel: Meena Kandasamys Roman „Schläge“ beschreibt indische Verhältnisse.
Gelebte Erfahrung sei unwiderstehlich, heißt es in Meena Kandasamys Roman über Gewalt in der Ehe. Das Etikett „autobiographisch“ wird dabei gern zur Marketingstrategie, die den Zeitgeistvoyeurismus bedient wie Endlosschleifen mit Reality Shows im Fernsehen.
Dabei ist „Schläge“ viel mehr als die autofiktionale Verarbeitung eines Traumas, von dem die 1984 im indischen Chennai geborene Schriftstellerin rückblickend sagte, es sei allenfalls eine Fußnote in ihrer Biographie. Der auf James Joyce anspielende Untertitel („Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“) verweist auf die längst vollzogene Ent- und Verfremdung des Gelebten. Das Intimste wird zum Prisma, das Private und Politische werden intensiviert, bis es sich zum Universellen weitet, ohne den kulturell-partikularen Kontext zu ignorieren.
Die Geschichte ist schnell umrissen: Die anonyme Erzählerin, eine junge Journalistin mit Universitätsabschluss in Literatur und kreativem Schreiben, schliddert nach einer unglücklichen, weil heimlichen Liaison mit einem ambitionierten indischen Lokalpolitiker überstürzt in die Ehe mit einem Universitätsdozenten aus dem linksradikalen Milieu. Wie viele Intellektuelle ihrer Generation lebte auch sie im Traum einer egalitären Gesellschaft noch fort, lange nachdem dieser mit dem Zusammenbruch des Kommunismus begraben wurde und seine sterblichen Überreste als Zündstoff in den neuen nationalistisch-religiösen Flächenbränden aufgingen.
Gefangen im Würgegriff des Ehemanns
Sie erliegt dem Charme der revolutionären Rhetorik eines Möchtegern-Maos, bis sie, gefangen in einer ihr fremden Provinzstadt und tristen Suburbia, selbst zum Zielobjekt seiner ideologisch verbrämten Gewaltausbrüche wird. Primrose Villa, so eine Kulisse schreit nach Drama! Je mehr ihre Kontakte zur Außenwelt kontrolliert und unterbunden werden – Telefonate nur mit den Eltern in limitierten Zeitfernstern, E-Mail-Konten gelöscht, Laptopgebrauch und Internetzugang überwacht –, desto brutaler gerät die Beziehungsdynamik. Die Ehe wird zum Umerziehungslager, der Gatte zum Politkommissar. Bildung, feministische Überzeugungen, Erfolg im Beruf bieten, das wird überdeutlich, keinerlei Schutz vor häuslicher Gewalt.
Nahezu ebenso quälend wie die Schläge erlebt die Erzählerin die Indifferenz ihrer Umgebung. Die Eltern fürchten ums Ansehen der Familie und raten zum Durchhalten, die linksliberalen Freunde negieren, dass Derartiges einer gebildeten Feministin widerfahren kann, die Außenwelt übersieht Warnzeichen. In den Erzählungen der Mutter mutiert das Martyrium ihrer Tochter zu einer elterlichen Schlacht gegen Kopfläuse und rissige Füße, in der die Rolle des Verursachers unter den körperlichen und seelischen Blessuren gänzlich verschwindet. Trotzig reklamiert die Geschundene die Urheberschaft am Narrativ: Lass dich nicht aus deiner eigenen Geschichte vertreiben!