Rezension Ricarda Willimann : Sensationeller als Rilke? Jedenfalls komischer
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Ein angebliches Selbstporträt der Künstlerin Ricarda Willimann, datiert auf 1985 Bild: Andere Bibliothek
Die letzte Witzgeneration hat sich an der Anderen Bibliothek festgeklebt, um auf einen Knüller aufmerksam zu machen: Sie haben alle dieselbe Mutter. Ihr Name ist Ricarda Willimann. Aber wer ist diese Frau eigentlich?
Das war ja klar. Dass es einen Grund für die ganze Malaise geben muss, für Ottos kotzenden Mops, Karl Dalls Dirndljagd am Kilimandscharo oder Hirschhausens Gesamterscheinung, also für das Trauerspiel deutscher Humor (unter dem Handelsnamen „Titanic“ auch in einfacher Sprache erhältlich). Dass nun ausgerechnet eine Frau alle Schuld auf sich zu nehmen hat, ist wohl ein vergifteter Sieg für den deutschen Feminismus (kein Lustspiel), aber es hilft ja nichts: Es war, wie es war (Erika Fried), und es war – die Willimann. Alles. Auf sie gehen Loriots Lohse-Sketche ebenso zurück wie Georg Kreislers Taubenvergifterlied, die Kichersendung „Der Klügere kippt nach“ sowie sämtliche Witze der Neuen Frankfurter Schule, die ansonsten so dröge geworden wäre wie die alte. Sogar die letale Schwundstufe des Humors, die Comedy, soll Ricarda Willimann eingeschleppt haben.
Das zumindest behauptet und belegt nun ein editorisch-philologisches Großprojekt in der zu Unrecht für bollerwitzfrei gehaltenen Anderen Bibliothek Hans Magnus Enzensbergers selig, deren Maestro at large, Christian Döring, auf seine letzten Herausgebertage – bevor auch hier eine Frau übernimmt – ohne falsche Scham die innere Ulknudel raus- und die Scherzexperten der „Titanic“ hereinlässt. Als Herausgeber des Bands 452, „Ricarda Willimann: Wer war ich?“, fungiert Elias Hauck, seines Zeichens Cartoonzeichner und die halbe Miete des Duos Hauck & Bauer, das sich regelmäßig im Magazin „Titanic“ sowie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verewigt. Hauck hat alle Virtuosen des Witzes in Wort und Feder, die sich von Berlin bis Frankfurt am Main zu Recht einiges auf ihr komisches Talent einbilden, dazu bekommen, an dieser erschütternden Biographie (samt Tagebuch-Edition) Ricarda Willimanns mitzuarbeiten.
Im schmutzigsten Sinne fiktiv
Nach und nach zeichnen sich die Umrisse eines wilden, vor Liebhabern strotzenden (Tex Rubinowitz war also beileibe nicht der einzige) Lebens ab, das in der Tat larger than life, also im schmutzigsten Sinne fiktiv genannt werden muss. Es reichte von Wien über Köln und die F-Stadt bis nach New York und Argentinien, von der „Fix und Foxi“-Redaktion (Willimann war die treibende Kraft in Rolf Kaukas Verlag, verrät uns Ulrike Sterblich, die es ganz sicher von ihrer Kindheitsfreundin Melanie weiß) über das Eduscho-Lektorat „Kaffeesatz“ bis in die Fernsehredaktionen des Landes. Margarete Stokowski hat mit Ricarda Willimann Parfum geklaut, Tim Wolff versucht sich als Exeget ihrer späten Briefe („Rosskastanien haben Vorfahrt“). Dass Harald Schmidt lieber Organist in Nürtingen geblieben wäre, als seinen Late-Night-Schlamassel zu moderieren, war ja bekannt. Aber dass er von jener Dame, die schon Letterman groß gemacht hatte, zu seiner Show gedrängt worden ist, ist eine weitere neue Erkenntnis, die David Schuh aufgearbeitet hat.
Von Julia Mateus, der aktuellen „Titanic“-Chefredakteurin, erfahren wir, dass die objektophile Willimann, nicht nur eine Witzwutz, „zeitweise mit einem Kontrabass liiert“ war. Paula Irmschler beleuchtet ihr ominöses Verschwinden vor der Bäckerei Eifler am Frankfurter Hauptbahnhof, und Moritz Hürtgen macht sich die Mühe, die äußerst lukrativ Markennamen verwendende willimannsche Lyrik („Doch sonntags fahren wir nie fort / im Bett schmeckt uns die Extra-Lord“) in Beziehung zu den ähnlich lukrativen, wenn natürlich auch schlichteren „Obi-Regentonnenvariationen“ von Jan Wagner zu setzen. Rilke, kaum ausgepackt in Marbach, kann jedenfalls wieder einpacken.
Mühe machen auf Dauer allerdings auch die lustigsten Texte, wenn sie immer demselben Muster folgen und derart kreuzharmlos sind. Die unfairerweise von Hauck oder Döring weiter hinten platzierten Beiträge haben es daher schwer, noch einmal Begeisterung zu wecken für die Aufdeckung, hinter was die vielleicht aus guten Gründen bislang unbekannte Willimann noch alles stecken soll. So viele Flaschen Pommes frites kann niemand trinken. Da zeigt sich der deutsche Humor in seiner ganzen Narrhallamarschpenetranz. Es ist auch ganz sicher auf diesen gemünzt, was uns Max Goldt wissend zuflüstert: „Nun ist Ricarda alt und in der Tat schon leicht wackelig. Man sagt so etwas nicht gern. Doch was sagt man schon gern außer ‚Hallo‘?“ (Na, „Palim, palim“ natürlich, lieber M. G.)
So lehrreich wie der frühe Otto Waalkes
Zündender als all die Anekdoten über den personifizierten deutschen Witz sind die Zeichnungen im Band, und das liegt nicht zuletzt daran, dass darunter einige der besten Bildbomben der letzten Äonen sind, die natürlich auch bloß bei der Willimann geklaut waren. Im Fall von Hauck & Bauer hat das ein Geschmäckle, haben sie doch einst den Fernsehclown Florian Schroeder verklagt, weil der ihren lustigsten Comic („Nun, Ihr Kind ist nicht hochbegabt. Sie sind nur beide sehr, sehr dumm“) nachspielte. Und jetzt kommt heraus, sie haben das selbst entwendet. Auch Til Mettes köstliche Zeichnung zweier Champagner-Bonzen im Liegestuhl am Meer – „So ungefähr muss es Leuten gehen, die nur noch das Nötigste haben“ – ist in der verdammt ähnlichen Variante der Ricarda Willimann nicht weniger toll.
In den sorgsam edierten Tagebüchern findet sich ebenfalls manche Perle wie diese: „Lustiger Verleser: ‚Vollhorst‘ statt ‚Albrecht Dürer‘“. Und mindestens so lehrreich wie der frühe Otto Waalkes ist das Buch ebenfalls, oder hätten Sie gewusst, dass die englische Übersetzung von „Otto Normalverbraucher“ einfach „Udo Jürgens“ lautet? Inzwischen ist die Willimann leider dement (Fachbegriff: „Comedy“), aber diesen liebevollen Nachruf zu Lebzeiten hat sie verdient.