Henning Mankell: Der Feind im Schatten : Servus, alter Schwede Literatur
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Wallander-Krimis werden auch in Vietnam und Ecuador gelesen, aber nirgends so geliebt wie bei uns. Mehr als die Hälfte der Gesamtauflage von dreißig Millionen entfällt auf den deutschen Sprachraum. Deutsche pilgern auf Wallanders Spuren durch die Kleinstadt Ystad, meditieren am Strand von Mossby und sündigen in Fridolfs Konditori. Die drei Fernseh-Wallander – der barocke Rolf Lassgårdt, der unvergleichliche Kenneth Branagh und der schusslig-spröde Krister Henriksson – sind fast so populär wie Ikea-Regalsysteme oder der „Tatort“. Wenn der alte Schwede jetzt mit zweiundsechzig in Rente geht, werden seine Fans Trauer tragen.
Dass er, wie Sherlock Holmes nach seinem Todessturz, noch einmal wiederkehrt, ist fast ausgeschlossen. Nach Übergewicht, Diabetes, Depressionen, Beziehungsunfähigkeit und Quartalsalkoholismus hat Henning Mankell seinem Kommissar jetzt den Rest gegeben: Alzheimer. Die russischen U-Boote und DDR-Wasserspringerinnen, die in der kalten Kriegssuppe seines zehnten und letzten Falls herumschwimmen, interessieren Wallander weniger als sein „Lebensvermächtnis“: Trauern, Klagen, Hoffen. Die Welt ist nicht besser geworden, seit er 1969 in Malmö seinen Dienst als Streifenpolizist antrat. Das Böse triumphiert im schwedischen Nieselregeln und unter der Sonne Afrikas, und den heimtückischen Feinden im Schatten – Alter, Vergessen, Tod – kann auch der redlichste Aufklärer nicht das Handwerk legen.
Stark durch Schwächen
Wallander war stark durch seine Schwächen: Ein James Bond, der sich auf dem Klo die Insulinspritze gibt, ist nicht nur nach Mankells Dafürhalten schwer vorstellbar. Ein Polizist, der sich ständig das Wasser abschlägt und das Wildpinkeln als beste Möglichkeit, „das Leben zu genießen“, empfindet, freilich auch. Zum Abschied lässt Mankell noch einmal Wallanders gesammelte Macken und Marotten Revue passieren: die frühkindliche Schwäche für Märklin-Eisenbahnen und Elvis, die erste Pfeife („Hamiltons Mischung“), seinen Wahlspruch („Auf Biegen und Brechen“), seinen letzten Freund (Jussi, der Labrador). Nein, dieser Kurt Wallander ist kein James Bond, kein zynisch-hartgesottener Philip Marlowe, kein exzentrischer Detektiv mit messerscharfem Verstand. Eher einer von jenen knorrigen alten Moralisten, die im deutschen Fernsehkrimi traditionell für Autorität, Werte und bittere Seufzer standen: ein Derrick mit inneren Tränensäcken und ohne Harry, ein „Kommissar“, an dem die Emanzipation der Rehbeinchen nicht spurlos vorbeiging, ein „Alter“, den nachts feuchte Träume plagen. Das klare Denken und schnelle Schießen war seine Sache nie; inzwischen braucht er sieben Tabletten am Tag und ein Nickerchen beim Verhör des Hauptverdächtigen. Das schwächliche Fleisch war immer schon der Stachel seiner reinen Vernunft; aber in seinem kränklichen Leib wohnten eine unfehlbare Intuition und der „gesunde Menschenverstand“. Wallanders Mantra „Was ist das für eine Welt, in der wir leben?“ konnte jeder normal politikverdrossene Deutsche jenseits der sechzig unterschreiben.
Allerdings: Schweden ist nicht München-Grünwald, Ystad kein Pippi-Langstrumpf-Kinderparadies. Hier werden Asylantenheime und Schwäne angezündet, Flüchtlinge und Frauen bestialisch gefoltert, gepfählt und skalpiert. Die Strafe folgt nicht gleich auf dem Fuße, aber kein rassistischer Mord, kein koloniales Verbrechen wird verziehen oder vergessen. In „Der Feind im Schatten“ liegen zwischen Schuld und Sühne achtundzwanzig Jahre, in schwereren Fällen schon mal hundertvierzig Jahre. Wallander erschoss zwei Menschen und wurde einmal schwer verletzt. Aber schmerzhafter als Messerstiche sind im protestantischen Schweden ohnehin Gewissensbisse, Schuldgefühle, Selbstzweifel und existentialistische Verzweiflung. Mankell war nicht umsonst Ingmar Bergmans Schwiegersohn.
Desolat wie sein Privatleben