Aufgetauchter Roman von Céline : Neues vom umstrittensten aller Autoren
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Louis-Ferdinand Céline im Jahr 1944 Bild: © Ministère des Affaires Etrangères
Es war die größte literarische Sensation, die Frankreich erlebt hat: der Fund von tausenden seit 1944 verschollenen Manuskriptseiten von Céline. Nun erscheint als erstes Buch daraus der Roman „Guerre“ – Krieg.
Dieses Mal wenigstens wird Louis-Ferdinand Céline (1894 bis 1961) seinen Todfeind Marcel Proust ausstechen: in der Frage, von wem posthum die spektakulärsten Manuskripte entdeckt worden sind. Von „Prout-Proust“ (Céline) sind zuletzt spannende Novellen und eine Vorstufe zur „Suche nach der verlorenen Zeit“ erschienen. Diese zwei schmalen Bände kommen allerdings gegen den jüngst entdeckten satten Kubikmeter unveröffentlichter Céline-Schriften schon in der Masse nicht an. Es handelt sich um Manuskripte, die 1944 aus seiner Wohnung in Montmartre entfernt wurden, während Céline als Kollaborateur in Nazi-Deutschland Unterschlupf suchte. Wiederaufgetaucht sind sie vergangenen Sommer, nach dem Tod von Célines Witwe und Alleinerbin Lucette Almansor.
Nun erscheint in Frankreich „Guerre“ (Krieg), der erste Roman aus diesem Fundus, und er zeigt, dass Céline auch in Qualitätsfragen das Rennen macht (am internen Maßstab des Werks gemessen). Zwar ist „Guerre“ eng in das Motiv-, Figuren- und Handlungsnetz der zu Lebzeiten publizierten Céline-Romane eingebunden, das entspricht jedoch dem Regelfall in diesem dicht verwobenen Werk. Es handelt sich dennoch um den völlig eigenständigen Text eines Romanciers auf der Höhe seines Schaffens. Fassungslos hält der Leser das Produkt einer abenteuerlichen Zeitreise in den Händen, eine Flaschenpost aus den dreißiger Jahren, als wäre Céline noch am Leben. Ein äußerst seltener Fall in der Literaturgeschichte – eine Sensation.
Wo „Guerre“ im Werk hingehört
„Guerre“ wurde wohl nach „Reise ans Ende der Nacht“ (1932) und „Tod auf Raten“ (1936), Célines ersten Romanen, verfasst; eine Adresse auf einer Manuskriptrückseite verweist auf die Jahre 1933/34, womit ausgeschlossen wäre, dass es sich bei dem Konvolut um eine aussortierte Episode der „Reise“ handelt. Es ist eine eilig verfertigte Abschrift von 250 Seiten, die von Célines Sekretärin für den Verlag abgetippt werden sollte. Manche Worte sind unleserlich, aber das ist die Ausnahme: Es liegt ein runder Text vor, dem nur ein, zwei Korrekturdurchgänge fehlen. Fünf Seiten sind als Faksimile hinten in dem von Pascal Fouché besorgten Band abgedruckt; wem das nicht genügt, der kann die Originale bis zum 16. Juli in der Galerie Gallimard besichtigen (30/32 rue de l’université, Paris).
Die Handlung des Buchs spielt im Ersten Weltkrieg: Der Ich-Erzähler Ferdinand kommt als einziger Überlebender seiner Kompanie wieder zu Bewusstsein. An Arm und Kopf verletzt, irrt er durch die Lande, trifft einen Engländer, kommt in ein Feldlazarett in einer Kirche und dann, als es beschossen wird, in ein Krankenhaus in Peurdu-sur-la-Lys. Schauplatz ist fortan dieses Frontstädtchen, das den Verlust patriotischer Werte bereits im Namen trägt (Verloren-auf-der-Lilie: Die Blume symbolisiert Frankreich, der Name „Peurdu“ vermengt perdu, verloren, mit la peur, die Angst). Ferdinand wird von Mademoiselle L’Espinasse, einer sadistischen Krankenschwester, gepflegt, sondiert und brutal masturbiert; er überlebt und lernt Bébert alias Gontran Cascade alias Julien Boisson kennen.