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Friederike Mayröcker: Scardanelli : Berlin und Wien am Neckar

  • -Aktualisiert am

Bild: Suhrkamp Verlag

Diese wunderbaren nächtlichen Geschöpfe: In ihren neuen Gedichten tritt Friederike Mayröcker in ein intimes Zwiegespräch mit Friedrich Hölderlin und beschwört zugleich idyllische Momente mit Ernst Jandl.

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          Ein harmloser Zeitvertreib ist das Dichten für Friederike Mayröcker nie gewesen. Ihr Vertrauen in die schöpferische Kraft der Sprache und ihre Unbekümmertheit gegenüber allen literarischen Moden haben im Lauf der Jahrzehnte ein vielseitiges Werk hervorgebracht. Bei aller verspielten Sprachlust, der Freude an kühnen Bildern und manchen Verstößen gegen die Grammatik hat sie nie die großen Themen aller Kunst – Liebe, Vergänglichkeit, Tod – gescheut. Vielleicht ist es gerade dieser existentielle Ernst, der Friederike Mayröcker nun den Dialog mit Friedrich Hölderlin suchen lässt.

          Scheu vor dem berühmten Kollegen kennt Mayröcker nicht. Gleich das erste Gedicht ihrer neuen Sammlung setzt, fast wie ein Kochrezept, mit einer „Prise Hölderlin“ ein, und wenig später bekennt sie: „ich möchte / leben Hand in Hand mit Scardanelli“. „Scardanelli“, zugleich der Titel des Buchs, ist jener rätselhafte Name, mit dem Hölderlin viele seiner späten Gedichte unterzeichnete. Zu dieser Zeit lebte der kranke Dichter bereits im Tübinger Turmzimmer, das ihm für mehr als drei Jahrzehnte zur eng umgrenzten Heimat werden sollte. Keine einfache Lebensgemeinschaft zwischen den Jahrhunderten also ist hier zu erwarten.

          Vergnügen an der Landschaft

          Mit dem schwäbischen Turmbewohner teilt Friederike Mayröcker in diesen vierzig neuen Gedichten zunächst das Vergnügen an der Landschaft am Neckar, dessen „bläuliche Silberwelle“, so hatte Hölderlin ihn beschrieben, nun auch durch ihre Verse fließt. Mayröcker weiß aber auch von den Gefährdungen alles Schreibens: „die Bilder in meinem Kopf rasen wie irrwitzige“. Von solchem Irrwitz ist es möglicherweise nicht weit zu jener „Umnachtung“, als die man Hölderlins Geisteskrankheit gern umschrieben hat. So hebt denn auch eins von Mayröckers Gedichten mit dem Wunsch nach Beistand an: „sei du bei mir in meiner Sprache Tollheit“.

          Von „Tollheit“ kann hier allerdings keine Rede sein. Im Gegenteil: Friederike Mayröcker, die seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr, also seit nunmehr siebzig Jahren, Gedichte schreibt, hat sich erstaunliche sprachliche Präzision wie Originalität bewahrt. Im steten, mitunter erfrischend unkonventionellen Dialog mit Hölderlins Dichtung entstehen vielschichtige Texte, die oft an Vexierbilder erinnern. Denn obwohl es Mayröcker ihren Lesern auf den ersten Blick leicht zu machen scheint und die vermeintlichen Hölderlin-Zitate graphisch hervorhebt, ist ihr niemals zu trauen. Längst nicht alle Entlehnungen von Hölderlin werden nämlich markiert, und oft genug entpuppt sich ein scheinbar wortgetreues Zitat als virtuose Montage, in der Fremdes und Eigenes miteinander verschmelzen. „Im Grunewald / ‚oft ich weinend und blöde‘ (Hölderlin)“ lautet zum Beispiel die verwirrende Titelzeile eines Naturgedichts, das der Berliner Literaturwissenschaftlerin Heidrun Loeper gewidmet ist.

          Klingende Wortgeschichte

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