: Flitterwochen mit Narrenschiff
- Aktualisiert am
Sie heißen Johnny, Jasper und Snow. Denn so hieß man in Malaysia damals, als der Union Jack über Kuala Lumpur wehte - bevor 1942 für kurze Zeit die rote Sonne Japans dort aufging und bevor 1957 die Unabhängigkeit von der englischen Krone kam. Und wenn man nicht so hieß, dann nannte man sich so. Wie ...
Sie heißen Johnny, Jasper und Snow. Denn so hieß man in Malaysia damals, als der Union Jack über Kuala Lumpur wehte - bevor 1942 für kurze Zeit die rote Sonne Japans dort aufging und bevor 1957 die Unabhängigkeit von der englischen Krone kam. Und wenn man nicht so hieß, dann nannte man sich so. Wie zum Beispiel die Hauptfigur in Tash Aws Debütroman "Die Seidenmanufaktur ,Zur schönen Harmonie'": Aus Lim Seng Chin wird 1940 Johnny Lim. Denn der zwanzigjährige Chin hat sich in den jodelnden Dschungelkönig aus Amerika verguckt - in Tarzan Johnny Weissmüller. Chin-Johnny selbst ist freilich nichts weniger als ein Tarzan: klein, kahlköpfig, kriminell.
Auch sein Schöpfer hat sich umgetauft: Tash Aw, Jahrgang 1971, ist als Aw Ta-Shii in Kuala Lumpur aufgewachsen, studierte aber in England, wo er heute lebt. Mit seinem Romanerstling, der im vergangenen Jahr mit dem Whitbread-Preis für das beste Debüt ausgezeichnet wurde, ist Aw zu seinen Wurzeln aufgebrochen: in die Zeit, als seine Großeltern jung waren, in die Dreißiger und Vierziger; und in den Landstrich, in dem sie lebten, ins Kinta-Tal.
Dort machen die Briten damals mit grobem Gerät das große Geschäft. Johnny, einer ihrer vielen Zinngruben-Kulis, avanciert bald zum Herrn über den Bagger. Doch als der Tod eines Weißen auf sein Konto geht, sattelt er um. Auch als radelnder Stoffhandelsvertreter erweist er sich als Könner, und seine Touren in den Dschungel nutzt er zu konspirativen kommunistischen Treffen. Schließlich räumt der Tausendsassa mit dem Nullachtfünfzehn-Gesicht seinen Chef aus dem Weg und heiratet eine Tochter aus der chinesischen Hautevolee: ein Sprung ganz nach oben. Bloß einer sitzt noch höher: der Schwiegervater, ein Patrizier und Patriarch, führender Geschäftsmann und Meinungsmacher der ganzen Gegend.
Ihn fackelt Johnny im Kontor ab, um ihn im letzten Moment zu "retten" - schachmatt für den Lokal-König. Der Westentaschentarzan erweist sich wieder einmal als Überlebenskünstler und kommt mit dem Attentat davon, genauso wie mit seinem Verrat an den kommunistischen Kumpeln, mit dem er sich während der japanischen Besetzung einen Platz an der Sonne verschafft hat. Kurz: Die Vita, die Johnnys Sohn Jasper am Tag der Beerdigung seines Vaters im Kopf Revue passieren läßt, ist nicht die eines Ehrenmanns. Aber sie macht Tash Aws Anspruch alle Ehre, ein farbiges Bild der Wirren im unterworfenen Malaysia zu malen.
Die Romanfiguren flimmern und reichen in ihren flotten Dialogen Komplimente, denen ein Messer zwischen den lächelnden Lippen steckt. Der Schauplatz wird zwar umstandskrämerisch, meistens aber ohne sentimentales Summen skizziert, der Orient nicht mit Räucherstäbchen-Mystik vernebelt. Den guten Menschen von Kuala Lumpur gibt es nicht; den bösen aber genausowenig. Johnny ist schillernder Kämpfer, einer, dem nichts geschenkt wurde und der sich deshalb alles greift - koste es, wen es wolle. Dieses Changieren ist das Leitmotiv von Tash Aws Charakterstudie in historischem Setting.
Die nächsten beiden Teile des Buches zeichnen Johnny und Malaysia denn auch aus zwei anderen Perspektiven: Die Lotusblüte Snow dokumentiert in Tagebuchnotizen ihre scheiternde Ehe mit Johnny, einem ungebildeten, unsicheren, erotisch unerfahrenen Urvieh. In die Flitterwochen im Herbst 1941 werden sie von einem japanischen James Bond mit makellosen Manieren begleitet, außerdem von Johnnys einzigem Freund, dem britischen Flaneur und Asien-Fan Peter, und von dessen Landsmann und Lieblingsfeind, dem Asien-Verächter Honey. Peter wiederum rekapituliert als Greis seine kurze, intensive Beziehung mit dem unschuldig-naiven Naturkind Johnny - und mit dessen Frau, in die Peter sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt.
"Ich habe mit dem Buch gegen die Somerset-Maugham-Inszenierung dieses Erdteils angeschrieben", sagt der junge Autor, den vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Wahrheit und Geschichte beschäftigt. Daß es dabei zu einem Kampf der (Schreib-)Kulturen kommt, überrascht nicht. So verachten die Kolonialherren ihre Kulis als "verdammte Hurensöhne", während sie im "Obsthain" wandeln (die Übersetzer Pociao und Roberto de Hollanda haben nichts getan, um das Gestelzte des Stils zu glätten). Der Japaner versteckt hinter seinem tadellosen Stil ein Herz aus Stein, Snow dagegen - blutjung und blütenrein - "stürzt sich" wegen der ehelichen Enthaltsamkeit ihres Mannes in seelische "dunkle Tiefen". Währenddessen deutet Peter, der Dandy, die Welt um sich herum und die keimende Liebe in ihm drin anhand von europäischer Opernliteratur - und zitiert sie gern auf italienisch oder französisch. Peter ist eine Karikatur und doch die einzig halbwegs sympathische Gestalt auf dem Narrenschiff, auf dem die Flitterwochengesellschaft unterwegs ist.
Tash Aws vielstimmiges Malaysia-Porträt beginnt mit kühlen, kraftvollen Tönen, zirpt allerdings etwas schwach auf der Brust, als Snow zu Wort kommt. Immerhin kompensiert der Autor dies hier mit der Spannung einer Abenteuerfahrt samt amourösen Verstrickungen. Im dritten Teil werden die Zeiten - die Vierziger und die Gegenwart - und die Themen - Liebe, Tod und Asien - in der Reflexion Peters enggeführt. Sie endet mit dem größenwahnsinnig-ironischen Aufschrei des Engländers: "Consummatum est." Für Tash Aw dagegen steht zu hoffen, daß die "Seidenmanufaktur" noch nicht alles gewesen ist. Denn über weite Strecken verspricht der Roman über Johnny, Jasper und Snow mehr.
ALEXANDRA KEDVES.
Tash Aw: "Die Seidenmanufaktur ,Zur schönen Harmonie'". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Pociao und Roberto de Hollanda. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 448 S., geb., 22,90 [Euro].