Ernst Jünger in der Pléiade : Die Feder und das Schwert
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Im goldenen Einband: Ernst Jünger Bild: picture-alliance / dpa
Die Kriegstagebücher von Ernst Jünger sind im legendären französischen „Pléiade“-Kanon erschienen. Der Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt sieht darin eine Ästhetisierung des politisch umstrittenen Autors und reagierte mit wütender Polemik. Sollte man sich die Ausgabe aber nicht erst einmal genau ansehen?
In Paris sind die Kriegstagebücher von Ernst Jünger in der berühmten „Bibliothèque de la Pléiade“ des Verlagshauses Gallimard erschienen. Es gibt für einen Autor in Frankreich keine größere literarische Ehre. Die „Pléiade“ ist der ganz große Klassiker-Luxus. Sie ist, mit ihrem braun-goldenen Einband und den feinen Dünndruckseiten, das Monument für all jene, deren Schriften Jahrhundertwerke sind; ein Kanon der lebendig gebliebenen Toten, dem Victor Hugo, Goethe, Balzac, Tschechow, Dickens oder Shakespeare angehören. Nur wenige haben es bisher geschafft, zu Lebzeiten in die „Pléiade“-Ausgabe aufgenommen zu werden, darunter Julien Gracq. Gallimard hatte Ende der dreißiger Jahre die Veröffentlichung von dessen erstem Roman abgelehnt. Gab es eine größere Genugtuung? Einen nachdrücklicheren Ausdruck der Anerkennung?

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Jede Neuaufnahme eines Autors ist ein politischer Akt der Kanonisierung. Es sind die Gallimard-Verleger, die entscheiden, wer gedruckt wird und wer nicht, und nicht immer ist das auch nachzuvollziehen. Es gibt zum Beispiel - und man fragt sich wirklich, warum - keinen Thomas Mann in der „Pléiade“, keinen Joseph Roth oder Alfred Döblin. Unter den deutschsprachigen Autoren der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entschied man sich bisher nur für Kafka und Brecht - und jetzt für Jünger, was den französisch-deutschen Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt vor zwei Wochen zu einer wütenden Polemik veranlasst hat: Dass, so behauptete Goldschmidt in der „Frankfurter Rundschau“, „dieser doch ein wenig faschistoide, großtuerische Mystagoge“ nun unter den schönen Geistern des französischen Literaturhimmels plaziert werde, sei das Allerletzte, die Publikation ein klares Zeichen dafür, dass in der „Pléiade“ die deutsche Emigration und der Widerstand in den Hintergrund verschoben würden. Es gehe, wenn auch unbewusst, um „eine regelrechte Rehabilitierung der deutschen Okkupation Frankreichs“, um eine „Eloge der Kollaboration“.
Prekärer Geisteszustand
Goldschmidt, der die Nazizeit in einem katholischen Internat in den französischen Alpen überlebte und von Bergbauern, die ihn versteckten, vor der Deportation gerettet wurde, macht kein Hehl daraus, dass er Jünger verachtet. Dennoch ist die eigentliche Zielscheibe seines Artikels nicht der Autor selbst, wie auch die genaue Betrachtung der kommentierten Ausgabe nicht sein Gegenstand ist. Die bloße Tatsache, dass Ernst Jünger in der „Pléiade“ verlegt wird, interpretiert er als Indiz für einen prekären Geisteszustand im gegenwärtigen Frankreich. Goldschmidt richtet sich gegen jene „gewisse Pariser Intelligenzia“, die einen „Gran Pétainismus“ wieder salonfähig mache und eine „Rechtfertigung der Kollaboration“ betreibe.
Und tatsächlich steht er mit dieser Beobachtung nicht alleine da: Dass es eine nationale Aufarbeitung der Kollaboration in Frankreich bis heute nicht gegeben habe, die verdrängten Widersprüche als unterschwellige Ressentiments aber schnell wiederzubeleben seien, kritisierte erst kürzlich die französische Philosophin Hélène Cixous. Mit einem Seitenhieb auf Nicolas Sarkozy sprach sie in diesem Zusammenhang von der „maladie française“, der „französischen Krankheit“. Es gibt deutliche Zeichen für eine solche fehlgeleitete Erinnerungspolitik. Ist deswegen aber auch die „Pléiade“-Ausgabe von Jüngers Kriegstagebüchern ein Symptom dieser „Krankheit“? Muss man sie dafür nicht erst einmal genau lesen?
In Deutschland gibt es das nicht