Emma Clines „The Girls“ : Wenn Blumenkinder vom Weg abkommen
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Emma Cline: Um ihr Debüt feilschen die Verlage – ein Missverständnis? Bild: Laif
Die amerikanische Autorin Emma Cline erzählt in ihrem Debüt „The Girls“ von einer Verführung. Die Geschichte der Manson-Sekte ist dabei nur die Folie für ein psychologisches Drama.
Charles Manson lebt. Nicht nur als Häftling in Corcoran, sondern auch in der medialen Spiegelung. Mehr als vierzig Jahre nach den Morden im Haus 10050 Cielo Drive in Beverly Hills lässt das Interesse an dem monomanischen, rassistisch denkenden Sektenführer und seiner Family nicht nach. Zwar beendeten er und seine überwiegend weibliche Gefolgschaft im Sommer 1969 den Traum der kalifornischen Blumenkinder vom friedlichen Miteinander. Zugleich aber stieg Manson zur Popikone auf, von der sich bis heute Memorabilia zu horrenden Preisen verkaufen und die in Sachbüchern, Romanen, Ausstellungen und Theaterstücken längst so etwas wie ihren eigenen, monströsen Soundtrack entwickelt hat.
Es ist daher kein geringes Wagnis, dass sich Emma Cline in einem weiteren Roman, „The Girls“, der jetzt in der Übersetzung von Nikolaus Stingl auf Deutsch erscheint, dem Manson-Phänomen zuwendet. Der Gedanke, dass die siebenundzwanzigjährige Amerikanerin mit Kalkül dieses Aufmerksamkeit versprechende Thema für ihr Erstlingswerk gewählt hat, liegt nahe; und die Reaktionen sprechen für sich: Dem Erscheinen von „The Girls“ ging in Amerika ein Bietgefecht der Verlage voraus, und auch die Filmrechte werden gehandelt. Doch könnte es sich dabei um ein Missverständnis handeln.
Denn tatsächlich hat Emma Cline gar keinen Manson-Roman geschrieben. Der ihm nachempfundene Charakter Russel spielt allenfalls eine Nebenrolle in dem nordkalifornischen Setting rund um die Bay Area. Nicht er, sondern Suzanne, eine seiner fanatischsten Anhängerinnen, ist die zentrale Figur. Und so erweist sich „The Girls“ auch nicht als ornamental ausstaffiertes Sittenbild der späten sechziger Jahre, sondern als Studie über die Macht der Verführung und die seelischen Dispositionen, die ein Mädchen dazu bringen, allein in den dunklen Wald zu gehen - ohne Krumen auszustreuen, damit sie den Weg zurückfindet.
Fatale Logik
Erzählt werden die Ereignisse jenes Sommers 1969 aus der Rückschau der erwachsenen Evie Boyd, die als Vierzehnjährige einige Monate auf der Ranch von Russel und seinen Anhängern unweit ihres bürgerlichen Zuhauses verbracht hat. Auf dem verfallenen Hof gibt es kein Geld und kaum zu essen, dafür alle nur erdenklichen Drogen, aber nicht einmal die verwahrlosten Kinder und die Verabredung, dass jugendliche Ausreißerinnen hier älteren Männern gefällig sein müssen, schrecken die neue Besucherin.
Sie will, wie die anderen auch, „ihr eigentliches Selbst“ befreien, obwohl sie nicht so recht weiß, was damit gemeint ist. Die Katastrophe am Horizont dieses schwülen Sommers wird Evies Jugend beenden und ihrem Leben eine Wendung geben, von der sie sich nicht mehr erholt. Denn nie wieder wird sie die Frage los, wozu sie, die an den Morden nicht beteiligt war, fähig gewesen wäre. „Wenn die hellen Körper der Planeten in einer anderen Konstellation zueinander gestanden hätten“, fragt sie sich selbstquälerisch ein ums andere Mal, wäre dann alles anders gekommen? „War das die Membran, die die Welt, in der ich es getan, von derjenigen trennte, in der ich es nicht getan hatte?“
Emma Cline lässt ihre Protagonistin manisch ihre Erinnerung nach dem einen Moment abtasten, aus dem ihr früheres Ich die fatale Logik hätte ablesen können. Aber da gab es keine Zeichen, keinen inneren Zweifel, stattdessen gierte der Teenagerverstand „nach Kausalitäten, nach Verknüpfungen, die jedes Wort, jede Geste, mit Sinn aufluden“.
„Komödie der Schlächterei“
In der Rahmenhandlung hat sich die arbeitslose Evie Boyd provisorisch in einem Strandhaus eingerichtet, in dem sie jäh aus ihrer Lethargie gerissen wird, als der Sohn des Hausbesitzers und dessen Freundin aufkreuzen. Die jungen Leute, Drogenkuriere auf der Durchreise, sind wie angefixt, als sie erkennen, wen sie vor sich haben.