Autorin Elena Ferrante : Im Rione herrscht das Gesetz der Straße
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Eine Stadt, wie zur Kulisse gedacht: Neapel ist ein gar nicht so heimlicher Hauptdarsteller in Elena Ferrantes Romanzyklus. Bild: Barbara Klemm
Wer steckt hinter Elena Ferrante? Ihr jetzt auf Deutsch gedrucktes Buch „Meine geniale Freundin“ ist der Auftakt einer großen neapolitanischen Saga, die sich von den Fünfzigern bis in die Gegenwart zieht.
So ausufernd ist über die Frage nach der Autorschaft von Elena Ferrante gerätselt und spekuliert worden, dass die Bücher der unbekannten, angeblich in Neapel geborenen Autorin über das Literaturbetriebsquiz beinahe aus dem Blick gerieten. Ob sich hinter dem Pseudonym nun ein Mann verbirgt, ein Autorenkollektiv oder doch die Historikerin Marcella Marmo, wie ein findiger Literaturwissenschaftler herausgefunden haben will, wird aber spätestens dann nebensächlich, wenn man die Bücher zur Hand nimmt. Denn ob es sich nun um eine geniale Marketingstrategie handelt oder doch um eine die Öffentlichkeit partout meidende Person, am Ende – it’s the book, stupid – dreht sich alles um die Literatur.
Bislang konnten deutsche Leser den Ausschlag des Ferrante-Fiebers an sich selbst nur messen, wenn sie Italienisch beherrschten oder sich mit einer der zahlreichen Übersetzungen in andere Sprachen begnügten. Nun liegt der erste Teil der neapolitanischen Tetralogie endlich auch auf Deutsch vor. „Meine geniale Freundin“ ist der Auftakt eines großangelegten Panoramas der italienischen Gesellschaft, das seinen Anfang im Neapel der fünfziger Jahren nimmt und sich in den folgenden drei Teilen, die der Suhrkamp Verlag halbjährlich nachlegen will, bis in die Gegenwart hineinschreibt.
Der Verlag tut gut daran, rasch Stoff nachzuliefern, denn die Erzählung bezieht ihre Spannung aus einem dramaturgischen Kniff, dessen sich dieser Tage vor allem amerikanische Fernsehserien bedienen: Elena Ferrante erzählt horizontal. Was wohl einer der Gründe dafür ist, warum es gerade amerikanische Kritiker waren, die dem Werk der in Italien seit Jahren zwar erfolgreichen, aber keineswegs international reüssierenden Autorin nach der Übersetzung ins Englische zum Welterfolg verhalfen.
Bald im Fernsehen
Hieß es vor Jahren, als Sender wie HBO in Reihen wie „The Wire“ das Erzählformat durchsetzten, die epische Serie sei die Fortsetzung des Romans des neunzehnten Jahrhunderts mit neuen Mitteln, könnte man im Fall Ferrantes sagen: Hier schreibt eine mit den Mitteln der Fernsehserie. Dabei bedeutet horizontales Erzählen ja nichts anderes, als dass es einen Erzählbogen gibt, der über die jeweilige Folge hinausgeht, in dessen Verlauf eine ganze Welt in den Blick genommen wird. In der Literatur sorgt damit auch der norwegische Autor Karl Ove Knausgård mit seinem auf sechs Bände angelegten autobiographischen Projekt für Aufsehen.
Natürlich ist heute serielles Erzählen gar nichts anderes als zu jenen Zeiten, als beispielsweise Tageszeitungen Romane von Balzac, Zola oder Dickens in Fortsetzung druckten. Balzac überschrieb die Horizontalität seines Zyklus gleich als „Comédie humaine“. Auch Arthur Conan Doyles Geschichten um den Privatdetektiv Sherlock Holmes wurden als Episoden abgedruckt und eignen sich zum Medientransfer, weil sie eine längere Zeit erfassen. Da ist es nur konsequent, dass auch Ferrantes Neapel-Epos derzeit zur Fernsehserie umgearbeitet wird.
Einfach in Luft auflösen
Das erste Buch stellt die beiden Frauenfiguren vor, die im Zentrum der gesamten Tetralogie stehen: die Pförtnerstochter und Ich-Erzählerin Elena Greco, die im Viertel Lennucia oder Lenù genannt wird, und ihre beste Freundin Raffaella Cerullo, die alle Lina rufen, nur ihre Freundin sagt zu ihr Lila. Der Namensspielerei, so viel steht fest, kann die Autorin auch in der Literatur nicht widerstehen. Elena, das Alter Ego der Autorenfiktion, ist zu Beginn eine Frau von 66 Jahren. Sie erhält von Lilas Sohn einen Anruf aus Neapel, in dem er berichtet, dass seine Mutter verschwunden sei. Anders als Lila, die ihre Heimatstadt nie verließ, konnte Elena aus der Gedrängtheit und Armut ihres Viertels aus eigener Kraft entkommen.