Durchs wilde Wokistan
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Macht und Abgrund in Berlin: Besucher des Reichstages hinterlassen Abbilder auf dem Glas der Kuppel. Bild: AP
Christoph Peters schreibt in seinem neuen Roman „Der Sandkasten“ eine Satire auf eine von der Wokeness erfasste Berliner Republik. Einmal begonnen, legt man das Buch nicht mehr aus der Hand.
Seinem neuen Roman hat Christoph Peters eine Erklärung vorangestellt, die ihn gegen politische Deutungen abschirmen soll. Alle Bezüge zur Realität, heißt es dort, seien zufällig und nicht beabsichtigt. Nur eine Vorlage lässt er gelten: Wolfgang Koeppens 1953 erschienenen Nachkriegsroman „Das Treibhaus“, der die schwüle Atmosphäre der noch auf den Trümmern des Weltkriegs stehenden Bonner Republik einfing als Mischung aus Schuldverdrängung und neu erwachendem Größenwahn. Beide Male stimmt die Erklärung nicht. So deutlich, wie sich damals die Physiognomien von Konrad Adenauer und Kurt Schumacher hinter den Romanfiguren abhoben, so leicht ist bei Peters hinter dem lustprahlerischen holsteinischen Spitzenpolitiker Wolfgang Kubicki zu erkennen oder hinter dem zwangsneurotischen Professor der aktuelle Gesundheitsminister.
Wozu also die Camouflage? Koeppens Roman war ein Skandal, weil er die NS-Kontinuitäten in der Regierungspolitik thematisierte und die Erfolgsgeschichte der jungen Bundesrepublik dementierte. Bei Peters ist die politische Temperatur deutlich abgekühlt. Auch die Berliner Republik, die er beschreibt, inszeniert sich mit ihren Gute-Kita-Gesetzen und ihrem Inklusionsbestreben als Erfolgsgeschichte, aber dahinter steht kein großer Plan, sondern nur ein Sammelurium von politisch-moralischen Schablonen, die wie Sandkastenformen immer wieder neu zusammengesetzt werden. Das gibt dem Buch wohl seinen Titel.
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