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Deon Meyer: Dreizehn Stunden : Bei Licht betrachtet ist ein Polizist ein Nichts

Bild: Verlag

Farbenlehre für Fußabtreter: Deon Meyers Thriller „Dreizehn Stunden“ geht einen Tag lang auf Menschenjagd in Kapstadt.

          3 Min.

          Bennie Griessel ist immer noch Inspector. Obwohl er einer der besten Ermittler am Kap ist. Und trotzdem haben sie ihn abgeschoben, auf eine Position, die nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Jungen schwarzen Kriminalern soll er als Mentor zur Seite stehen – als gäbe es nicht genug Konflikte in seinem eigenen Leben. Griessel ist immer noch trocken, obwohl es ihn nicht leicht ankommt. Aber er will seine Frau wieder, irgendwie jedenfalls. Er will zurück in jenen Rest von bürgerlichem Dasein, das ihm zwischen Polizeidienst und Alkohol abhandengekommen ist.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Sein Telefon läutet um 05.37 Uhr, Kollege Vusi meldet eine weibliche Leiche bei St. Martini, der lutherischen Kirche in der Langstraat. Aber keine schwarze Obdachlose liegt da im Kirchhof mit durchgeschnittener Kehle, sondern eine junge Weiße. „Das gibt Ärger“, schwant Griessel. Keine zwei Stunden später wartet der noch junge Tag mit einer zweiten Leiche auf. Adam Barnard, Inhaber des Musiklabels AfriSound, liegt erschossen in seinem Wohnzimmer. Die benebelte Gattin sitzt als mutmaßliche Täterin daneben. Dann verdichten sich Hinweise, dass eine junge Frau – auch sie von weißer Hautfarbe –, die sich nicht traut, Zuflucht bei der Polizei zu suchen, von Unbekannten durch die Stadt gehetzt wird. Und schließlich ruft Griessels Frau an, um sich für den Abend zur alles entscheidenden Aussprache zu verabreden.

          Jedes Jahr ein Buch

          Die Zeit läuft, und sie läuft rasch, in diesem sechsten ins Deutsche übersetzten Roman des südafrikanischen Schriftstellers Deon Meyer. Der hat sich mittlerweile in Europa durchgesetzt und peilt nun den amerikanischen Markt an – weshalb man ihm von Verlagsseite vermutlich geraten hat, jedes Jahr mit einem Buch zur Stelle zu sein. Man wird nämlich den Eindruck nicht los, als habe sich Meyer einem solchen Erwartungsdruck gebeugt. Es ist nicht sein bestes Buch, die Subtilität des Vorgängers „Weißer Schatten“ erreicht es nicht. Sein Gespür für die Balance von Dialog, Atmosphäre und Landschaft wird hier dem Powerplay der Handlung geopfert.

          Deon Meyer, 1958 in der Industriestadt Paarl geboren, kommt aus kleinen Verhältnissen einer Burenfamilie. Seine Kindheit im Schatten der Apartheid holte ihn erst als Student ein – als er begriff, was wirklich los war in seiner Heimat. Die späte Einsicht hat ihn gelehrt, dass sich das Leben in der Regel aus Zwischentönen orchestriert. Auch heute, sechzehn Jahre nach dem Ende der Rassentrennung, ist Schwarz nicht gleich Weiß, finden sich unendlich viele Abstufungen. Wirklich vorbei ist die Apartheid noch lange nicht. Das zeigt sich im Roman schnell, nicht nur daran, dass weiße Tote mehr Ärger bedeuten als schwarze. Auch unter den farbigen Polizeibeamten und Streifenpolizisten herrscht eine starke Ausdifferenzierung nach Abstammung und Sprache.

          Handwerklich solider Porträtist

          Als man Griessels Truppe zur Unterstützung Mbali Kaleni, eine Zulu-Frau, zuteilt, hält sich die Begeisterung bei Griessels „Quotenneger“ Fransman Dekker sehr in Grenzen. Aber sein lebenserfahrener Chef nutzt die Gelegenheit und erteilt ihm eine Lektion, was es heißt, Polizist zu sein – „die werden dich immer wie einen Fußabtreter behandeln, die Leute, die Medien, die Vorgesetzten, die Politiker, egal, ob du schwarz, weiß oder braun bist. Außer wenn sie dich mitten in der Nacht rufen, weil sich jemand an ihrem Fenster zu schaffen macht, dann bist du natürlich ein Held, aber am nächsten Morgen, wenn die Sonne aufgegangen ist, bist du wieder ein Nichts.“

          Die südafrikanische Gesellschaft hat in dem gelernten Reporter Deon Meyer, der seiner Muttersprache Afrikaans treu geblieben ist, einen handwerklich soliden Porträtisten. Auch wenn er selbst bestreitet, politische Romane schreiben zu wollen – die Geschichten, die er erzählt, sind es unvermeidlich. Seine Absicht, ein gerechteres Bild seiner Heimat zu zeichnen, ist aller Ehren wert – für die Tourismuswerbung taugt der im Vergleich zum Konkurrenten Roger Smith („Blutiges Erwachen“) nur mäßig brutale Thriller trotzdem kaum. Der Korruptionsgrad mancher Ordnungshüter, die „Dreizehn Stunden“ bevölkern, ist erschreckend hoch. Zur Sicherung ihrer Nebeneinkünfte morden sie umstandlos. Der Wert eines Menschenlebens scheint hier mit kleiner Münze ausbezahlt zu werden.

          Verfolgungsjagd im Vorort

          Lange bleibt unklar, warum die Amerikanerin Rachel Anderson wie Freiwild gejagt wird. Dass es um etwas Schlimmeres als um eine simple Drogenschmuggelei gehen muss, liegt nahe. Meyer bedient sich mehrerer Perspektiven, um seinen Plot immer mehr zu beschleunigen. Wie mit schnellen Kamerafahrten begleitet er die Verfolger auf ihrer erbarmungslosen Jagd durch stille Vororte, Villenviertel und den innerstädtischen Verkehrskollaps. Parallel dazu führt er wie ein Soziologe durch die Musikbranche des Landes; Alexa Barnard, die alkoholkranke Witwe des ermordeten Musikproduzenten, ist eines ihrer prominentesten Opfer. In einem weiteren Handlungsstrang macht vom fernen Amerika aus Rachels Vater politischen Druck auf die südafrikanische Polizei.

          Gelegentlich wirkt die Schnitttechnik schematisch, und die Lösung von gleich zwei kapitalen Fällen innerhalb weniger Stunden mag Vorbildcharakter für andere fiktive Ermittler haben. Ein Kriminalroman, hat Deon Meyer einmal gesagt, sei notwendigerweise konservativ, weil er von der Ordnung zum Chaos und dann wieder zurück zur Ordnung schreite. Abends um sieben ist die Welt in Kapstadt aber immer noch gar nicht in Ordnung. Immerhin gibt es ein Trostpflaster: Bennie Griessel ist um die Mittagszeit zum Kaptein befördert worden. Es war höchste Zeit.

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