: Dann kommen die Bilder
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Mir fällt wenig ein, wenn man mich aus heiterem Himmel nach meinen Gedichten fragt" - so beginnt die "Nachbemerkung", die der 1976 in Gera geborene Lyriker und Literaturwissenschaftler Röhnert seinen neuen Gedichten hinterherschickt. Und dann folgt sogar der Gemeinplatz: "Den Gedichten ist nichts hinzuzufügen, was nicht schon in ihnen selber stünde", so Röhnert selbstbewusst.
Mir fällt wenig ein, wenn man mich aus heiterem Himmel nach meinen Gedichten fragt" - so beginnt die "Nachbemerkung", die der 1976 in Gera geborene Lyriker und Literaturwissenschaftler Röhnert seinen neuen Gedichten hinterherschickt. Und dann folgt sogar der Gemeinplatz: "Den Gedichten ist nichts hinzuzufügen, was nicht schon in ihnen selber stünde", so Röhnert selbstbewusst. D'accord! Aber: Wozu dann noch eine Nachbemerkung?
Und wozu dann noch eine Rezension? Um aus heiterem Himmel nach ebendiesen Gedichten zu fragen und nachzutragen, was nicht schon in ihnen selber steht und auch in keinem Nachwort stehen kann: dass es sich um ganz außerordentlich schöne, neuartige, kunstreiche und dementsprechend lesenswerte Gedichte handelt; um Gedichte, die, wer sie gelesen hat, nicht mehr vergessen möchte und vielleicht nicht mehr vergessen kann.
Woran liegt's? Gewiss auch an den Metropolen selbst (Paris, New York, London, Amsterdam, Genua, Vilnius), deren Ortsnamen und deren Atmosphäre in den Texten bruchstückhaft begegnen. Die Orte sind aber vor allem Ausgangs- und Bezugspunkte der Worte, sie sind Sehhilfen, Geburtshelfer der Perspektiven, sie formieren die Landschaften, geschaffen für sinnliche Wahrnehmungen, für die Sensationen der Einbildungskraft. Namen machen Gedichte. In dem Gedicht "La Specia" ("Hier siehst du eine Frau, die nur ihrer Beine wegen / existiert") führt Röhnert das geradezu exemplarisch vor.
Wie sich das im Einzelnen abspielt, hat Röhnert schlicht, aber hintergründig in einem Gedicht ("Ein Gedicht") gesagt, das man als Ratschlag oder Gebrauchsanweisung lesen kann, als Beschreibung dessen, was sich tut, wenn ein Gedicht entsteht oder gemacht wird, mithin als Programmgedicht: "Erst das Staunen,/ dann kommen die Bilder, / dann denkst du dir eine fremde Zunge aus, / dann übersetzt du es, / Fetzen, / auf eine Rolle geklebt, / unter Quellwolken und Wind."
Mit dem Staunen fängt alles an: "Staunen heißt am Leben sein". Der Künstler erfährt im Staunen die lebendige Basis seiner Kreativität: "dann kommen die Bilder". Sie "kommen" offenbar, stellen sich ein als Phantasien, Assoziationen, Fügungen, Tagträume, wenn und wo gestaunt wird. Röhnerts Bildgebung ist deutlich geprägt durch die Bilderwelt des Films, die sich in seinen Gedichten sowohl thematisch als auch in der Art und Weise der Darstellung ausbreitet. Es gibt in den Gedichten den filmtypischen schnellen Wechsel der Perspektiven, die Beschleunigung, aber auch die Verlangsamung: Der Blick ruht für einen Moment auf einer Situation, um dann schnell zu einem neuen Bild fortzutreiben. Erzählerische Elemente wechseln mit Beobachtungen und Reflexionen, wie in den Porträtgedichten "Das Mädchen hinter der Theke" einer Cappuccino-Bar in Genua oder in dem Gedicht über das "Atlantis", zu dem die Kassiererin eines Supermarktes sich sehnsuchtsvoll hinträumt.
Röhnert ist ein so praktisch wie theoretisch erfahrener Spezialist des lyrischen Filmblicks. Seine komparatistische Dissertation über "Lyrik im Zeitalter der Kinematographie. Cendrars - Ashbery - Brinkmann" erschien gleichzeitig mit dem vorliegenden Gedichtband unter dem aparten und seine eigene Lyrik bezeichnenden Titel "Springende Gedanken und flackernde Bilder".