Briefwechsel Celan - Bachmann : Wer bin ich für Dich, wer nach so vielen Jahren?
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Obwohl Ingeborg Bachmann 1954 ihren Durchbruch als Schriftstellerin erlebt, obwohl sie durch ihren Aufbruch nach Italien und das phasenweise Zusammenleben mit dem Komponisten Hans Werner Henze Freiheit und Inspiration erfährt, lässt sie die Verwerfung durch den einstigen Geliebten nicht los. Eine leidenschaftliche Erlösungssehnsucht treibt ihr Schreiben voran und beeinflusst auch die Motivwahl ihres zweiten Gedichtbands „Anrufung des großen Bären“, der 1956 erscheint: „Ich bin noch schuldig. Heb mich auf. / Ich bin nicht schuldig. Heb mich auf.“ Die poetische Kraft, die sich in den „Liedern auf der Flucht“ Bahn bricht, hat eine Richtung: Paul Celan.
Ach, Ingeborg
Dieser ist nun Familienvater, sein Pariser Leben hat an Festigkeit gewonnen. Die Gedichtbände „Mohn und Gedächtnis“ (1953) und „Von Schwelle zu Schwelle“ (1955) machen ihn in der literarischen Öffentlichkeit bekannt. Ohne dass Bachmann es weiß, führt auch Celan das stille Gespräch mit der einstigen Geliebten weiter. Bei einem Aufenthalt in Köln kauft er 1956 ihre „Anrufung des großen Bären“, und als er im Sommer 1957 zum ersten Mal seit den gemeinsamen Tagen 1948 in Wien eintrifft, entsteht das Gedicht „Sprachgitter“, in dem er erneut um die „In Ägypten“ entworfene Differenz ringt und erstmals zwei Perspektiven im Angesicht der Vernichtungserfahrung zusammenführt: „die beiden / herzgrauen Lachen: / zwei / Mundvoll Schweigen“.
Als der gereifte Dichter und die in ihrer Freiheit sicher scheinende Ingeborg Bachmann am 11. Oktober 1957 erneut aufeinandertreffen, bricht ein Sturm los. Eine handschriftliche Notiz von ihr: „Wann fährst Du? Und wann kommst Du wieder?“, dahin geschrieben auf einer Lyrikertagung in Wuppertal, eröffnet nun ein sonst nirgendwo in den Briefen mögliches Glück der Vereinigung. Leben und Lieben, Lesen und Schreiben, Sprechen und Schweigen finden nun auf überwältigende Weise zusammen. Celans Gedicht „Köln, Am Hof“ benennt diese neue „Herzzeit“, das, was „Verbannt und Verloren“ schien, weiß sich „daheim“. Und nun ist es Paul Celan, der sich von der Geliebten die Gedichte wünscht und der ihr seine eigenen Gedichte gleich Liebesbriefen schickt. Jetzt kann er die erlösenden Worte aussprechen: „Ingeborg, Ingeborg. Ich bin so erfüllt von Dir.“ Rückblickend muss er feststellen „Ach, ich bin so ungerecht gegen Dich gewesen, all diese Jahre“ und gesteht: „Du weißt auch: Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertreten, Ingeborg.“
Versuch einer Freundschaft
Doch Celans Freispruch ist ein Freispruch auf Zeit. Sie ahnt es längst, das „Ende“ ist offen. Und bleibt vorsichtig: „Du darfst meinetwegen jetzt Gisèle nicht versäumen“, mahnt sie ihn im Blick auf seine Frau. Die Heftigkeit ihres Wiederfindens macht ihr Angst: „Muß ich jetzt denken, daß ich Dich wieder unglücklich mache, wieder die Zerstörung bringe, für sie und Dich, Dich und mich? Daß man so verdammt sein sollte, kann ich nicht begreifen.“