Neues Buch über Anna Seghers : Wer hört, hat höheres Vergnügen
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Anna Seghers, fotografiert vermutlich in Mexiko Bild: INTERFOTO
Einfühlung tut Abrüstung gut: Volker Weidermann erzählt aus dem Leben von Anna Seghers in Mexiko. Dabei fehlt es oft an Distanz.
Mehr als vierhundert Treffer erhält man, wenn man im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek nach Publikationen über Anna Seghers sucht; im internationalen Bibliothekskatalog WorldCat sind es mehr als tausend. 1900 in Mainz geboren, wuchs die berühmte Schriftstellerin in einer jüdischen Familie auf. 1928 trat sie der KPD bei und blieb zeit ihres Lebens überzeugte Kommunistin. 1933 floh sie zunächst nach Paris, einige Jahre später emigrierte sie nach Mexiko. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie zurück nach Deutschland und blieb in der DDR, in Ost-Berlin, bis zu ihrem Tod 1983.

Feuilletonkorrespondentin in Berlin.
Ihr eiserner Glaube an den Kommunismus wirkt mittlerweile aus der Zeit gefallen, was der Publikationsdichte an Sekundärliteratur allerdings bis heute keinen Abbruch tut. So viel schon ist über Anna Seghers geschrieben worden, dass ein weiteres Buch mehr als originell sein muss, wenn es neue Leser anlocken soll. Volker Weidermann wählt eine Methode, die vom klassischen Weg sowohl einer Biographie als auch einer literaturwissenschaftlichen Analyse abweicht. Sein Zugriff ist nicht analytisch. Sein Konzept heißt Empathie.
Biographisch beschränkt Weidermann sich auf eine Station im Leben von Anna Seghers: das Exil in Mexiko, wo sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern von 1941 bis 1947 lebte. Hier erlebte sie den Beginn des Welterfolgs ihres Romans über die Flucht aus dem Konzentrationslager, „Das siebte Kreuz“, hier entstanden die Exilromane „Transit“ und „Der Ausflug der toten Mädchen“, und hier hatte sie einen Unfall, bei dem sie fast zu Tode gekommen wäre und für längere Zeit ihr Gedächtnis verlor.
Als wäre der Autor dabei gewesen
Wenn Weidermann über Anna Seghers schreibt, geschieht das nicht aus der Distanz eines Autors, der Quellenmaterial neu synthetisiert und ein bestimmtes Erkenntnisinteresse verfolgt. Weidermann fühlt sich in seine Protagonistin ein (oder beansprucht zumindest, es zu tun) und beschreibt die Stationen und Themen ihres Lebens wie jemand, der sie sehr gut gekannt hat und nun in ihrem Namen spricht. So verfährt er auch – und schweift dabei gerne ab – im Falle von allen weiteren Personen, die Anna Seghers während deren Exilzeit begegnen: so etwa beim Künstlerpaar Diego Rivera und Frida Kahlo oder bei Egon Erwin Kisch.
Oft klingt es so, als wäre Weidermann dabei gewesen. Das mag man als Ausweis einer besonders gelungenen Einfühlung werten; methodisch aber ist diese Anmaßung, aus vermeintlicher Kenntnis des Innenlebens von Protagonisten Sichtweisen, Situationen und menschliche Beziehungen beschreiben zu können, äußerst heikel. Denn Weidermann war natürlich nicht dabei, er stellt es sich nur so vor. Alles Atmosphärische, alles, was in den Bereich von Empfindungen fällt, die durch schriftliche Zeugnisse nicht im Detail belegt sind, ist bloßes Produkt seiner Phantasie. Dadurch vermischen sich Fakten und Fiktion.