Axel Milbergs „Düsternbrook“ : Denkst du an den Luftballon?
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In der Erinnerung ist alles noch da: Aalverkäufer, Pflaumenkuchen, erste Liebe. Und eben auch die Förde bei Düsternbrook, dessen „Seebar“ am Strandbad man hier sieht. Bild: Suse Multhaupt/laif
Schmuddelkinder werden nicht geduldet, dafür gibt es Aliens und Schleckbrause in „Düsternbrook“: Der Schauspieler Axel Milberg erinnert sich romanhaft an seine Kindheit in Kiel.
Axel Milberg spielt gern Figuren mit ein paar Macken oder schlimmeren Beschädigungen. Er war schon Killertunte mit hennaroten Haaren, Landarzt mit Blutphobie und natürlich Borowski, der eigenbrötlerische Kieler „Tatort“-Kommissar. Thomas Mann gehört eher nicht zu seinem Repertoire. „Düsternbrook“ ist nicht der kleine Bruder der „Buddenbrooks“, obwohl es auch hier um die Einsamkeit des heranwachsenden Künstlers in der bürgerlichen Krämerwelt geht. Milberg aber steht nicht am Ende einer langen Kette von Familientragödien und unaufhaltsamer Dekadenz und schreibt auch nie so gravitätisch ironisch wie der Herr aus Lübeck.
„Düsternbrook“ klingt nach Gothic Novel und ist tatsächlich unheimlich als Lebensform. Aber es ist keine Metapher, kein Bildungsroman, sondern das Villenviertel in Kiel, in dem der Autor aufwuchs. Und Milberg will weder Repräsentant noch Gewissen der Nation sein, sondern, als Kind wie als Kommissar, immer nur der stille, hellwache Beobachter am Rande. Die Menge ist ein Wasserkopf, und „wir sind was Besseres“, das sog er schon mit der Muttermilch ein. Milberg ist zu stolz, eigensinnig und aufsässig, um mit der Masse mitzulaufen, aber er beobachtet das Leben der anderen mit Neugier, gespannter Aufmerksamkeit und leisem Witz und stellt es auch so dar; nach Bühne und Film jetzt auch im Buch und notfalls in Talkshows.
Adorf, Bierbichler, Berkel, Liefers, Meyerhoff, Tukur, sogar Andrea Sawatzki und Miroslav Nemec: Heute schreiben ja fast alle Schauspieler und namentlich Fernsehkommissare von Rang Romane oder wenigstens sachdienliche Kindheitserinnerungen. Die narzisstische Selbstbespiegelung in Künstleranekdoten, Kantinenklatsch und Kalenderweisheiten überlassen die Theaterprofis ungehobelten Gangsterrappern, Influencern und Profifußballern. Der noble Mime flicht sich lieber Kränze aus kreativer Authentizität und gesteigerter Lebenswahrheit. Oder wie es Matthias Brandt in seiner „Raumpatrouille“ ausdrückte: „Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt.“
Kopfüber im Spinat
Auch bei seinem Kommissarkollegen Milberg gehen Dichtung und Wahrheit, Erfundenes und Erlebtes munter durcheinander. Was Schauspiel und Rollenprosa, Inszenierung oder echte Ausdrucksnot ist, bleibt offen; es spielt aber auch eigentlich keine Rolle. Milbergs Vater war nicht gerade Bundeskanzler, aber ein bekannter Scheidungsanwalt in Kiel; den Werbeslogan „Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden“ hat aber wohl doch sein Sohn erfunden. Die Mutter tunkte mittags einmal den Kopf eines Suppenkasperkindes resolut in Spinat; ob es der Bruder oder die Schwester war, weiß Axel heute nicht mehr so genau.
Im Hause Milberg gingen Grafen, Generaldirektoren und weltläufige Dandys aus und ein; die vornehme Welt der Herrensitze, Salons und Treibjagden war Axel von Kindesbeinen an geläufig. Der kleine Junge lauscht atemlos Don Fernandos Geschichten von Krieg und Liebe in Mexiko und roch gern das „Pengföng“ seines schwulen Patenonkels Carl-Oscar Ritter von Georg. Aber als 1956 geborenes Nachkriegskind kannte er auch die Abgründe und Ängste des Kleinbürgers, „Schnippedillerich“ und andere verschämte Wörter für den Piephahn und später als Rebell ohne Grund den Überdruss an bundesdeutschem Spießertum und speziell norddeutscher Gefühlsarmut. 1968 kam für ihn zu früh, aber 1977 heftete Milberg sich dann einen RAF-Button an den Parka. Er hatte eine glückliche, behütete Kindheit, aber für ihn stand früh fest, dass er in Düsternbrook nicht bleiben konnte.