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100. Geburtstag von William Burroughs : Mehr Meskalin für den Exterminator

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Er hat einen literarischen Sound geprägt, der wegweisend für die Spätmoderne war: William Burroughs (1914 bis 1997) Bild: Jon Blumb

Vor hundert Jahren wurde William S. Burroughs geboren. Um das Leben des Schriftstellers ranken sich Legenden. Was daran ist, verrät ein neuer Briefband.

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          Seine Leibspeise nennt der Mentor der Beat-Dichter gleich im ersten Satz: „Tausend Dank für das Meskalin.“ Das schreibt William S. Burroughs am 30. Oktober 1959 aus dem gerade bezogenen Domizil in Paris an den engen Vertrauten Allen Ginsberg, und in der Korrespondenz der folgenden fünfzehn Jahre mit ihm und anderen wird es sehr, sehr viel um Drogen gehen, von Dope bis zu LSD, von Morphin und Opiaten aller Art zur Wunderdroge Yagé aus dem südamerikanischen Dschungel.

          Learys Psycho-Pilze

          Jan Wiele
          Redakteur im Feuilleton.

          Fast schon belustigt nimmt man in dieser nicht enden wollenden Erzählung von Substanzgebrauch zur Kenntnis, dass Burroughs auch einmal eine verschmähte - nämlich die Psycho-Pilze von Timothy Leary, der als Professor der Universität Harvard diverse Drogenexperimente leitete. Als Burroughs 1961 auf dessen Einladung an einem „Symposion über Halluzinogene“ teilnimmt, ist er zwar erst noch begeistert, doch dann kippt die Stimmung: Nicht nur stört sich der Schriftsteller, der in Marokko und Frankreich zuvor in ärmlichen Verhältnissen gelebt hat, am amerikanischen Güterüberfluss in Learys Haus und an dessen „fetten und undisziplinierten Kindern“, sondern zunehmend auch an der Trip-Administration: „Die Szene hier ist völlig verrückt. Leary ist durchgedreht und verteilt Pilze an Garderobenfrauen, Taxifahrer, Kellner, praktisch an jeden, der nicht schnell genug die Beine in die Hand nimmt.“

          Da ist er also wieder, der typische Burroughs-Ton, der ein literarisches Genre mitbegründet und nicht nur seine, sondern gleich mehrere Generationen von Schriftstellern, Musikern und Künstlern geprägt hat, ja bis heute weiterwirkt: Zwischen den Briefen und den Werken wie „Junkie“ oder „Naked Lunch“ scheint gar kein großer Unterschied, es ist alles ein Sound, so wie auch am 4. August 1960 an den Maler Brion Gysin: „Ich habe eine Dosis Meskalin von Allen Ginsberg bekommen und lege die daraus resultierende Sure anbei, die Exterminator II beschließen soll.“

          Der Witz des Koranvergleichs ist hierbei ein doppelter: nicht nur der des Autors, sondern auch der seiner Rezeption. Denn für viele war Burroughs ein Heiliger und sein Werk eine zweite Bibel, wie die Musikerin Patti Smith tatsächlich einmal gesagt hat. Wenn man Burroughs auf Deutsch liest (und das hat über Jahrzehnte in bewundernswerter Weise der vor kurzem gestorbene Carl Weissner ermöglicht und somit den besagten Sound mitgeprägt, dafür schickt Burroughs ihm hier einmal 1966 nach Heidelberg „Shonste Grussen“), kann einem kaum entgehen, dass Texte von Rolf Dieter Brinkmann oder auch Bernward Vespers Roman „Die Reise“ ohne dieses Vorbild undenkbar wären.

          Cut-Ups und Fold-Ins

          Der Briefband aus der mittleren Werkphase, der heute pünktlich zum hundertsten Geburtstag des 1997 verstorbenen Burroughs in deutscher Übersetzung von Michael Kellner erscheint, dokumentiert neben Drogenexperimenten auch solche der Form, die für die Spätmoderne von großer Bedeutung sind: nämlich die Entstehung seiner sogenannten Cut-up- und Fold-in-Methoden, also das Zerschnipseln und Neuzusammensetzen von Texten, das in „Nova Express“ zur Vollendung kam, aber auch die Versuche mit Tonbandgeräten oder „Schnittstellenbildern“ für multimediale Kunstwerke.

          Was die Sucht angeht, das eine große Lebensthema von Burroughs, sieht man in dem Band aber auch sein außerliterarisches Engagement zum Wohle aller Abhängigen, das sich in einer wachsenden Obsession für eine bestimmte Therapie äußert: den Drogenentzug mittels Apomorphin-Kur. Auch etwa dem Rolling-Stones-Gitarristen Keith Richards hat er sie später einmal aufgeschwatzt. Der empfand sie jedoch als so höllisch wie sinnlos, wie er jüngst in seiner Autobiographie schrieb.

          Science-Fiction wird Wirklichkeit

          Das andere große Burroughs-Thema, die Kontrolle und Manipulation von Gedanken, wirkt im Lichte der jetzigen NSA-Enthüllungen so brisant wie nie - schon vor einiger Zeit aber hatte der Philosoph Marshall McLuhan festgestellt, die „sogenannte Science-Fiction“ von Burroughs sei längst Wirklichkeit. In den vorliegenden Briefen manifestiert sich das Thema teils noch unheimlicher als in den Romanen. So schreibt er im August 1969 an Brion Gysin: „Massenhaft Gehirnwellen, das ist die Waffe, die es einzusetzen gilt. 400 000 Gehirne, die an einem Ort Alphawellen von Schlaf und Traum emittieren können und die Bullen hinwegträumen, und wenn es hart auf hart kommt, dann ziehen 400 000 Epileptiker einen elektrischen Zaun hoch.“ Und fügt dann selbst hinzu: „Nein, das ist keine Science-Fiction. Das ist alles bereits mittels existierender Technologie möglich.“

          Die Kommentierung des Bandes durch den Herausgeber Bill Morgan lässt leider zu wünschen übrig: So ist etwa in Bezug auf Burroughs’ zweite Frau Joan Vollmer im Vorwort nur die Rede von „ihrem Tod“, in einer Fußnote vom „Mord“ an ihr - ohne ein Wort über die Rolle, die Burroughs selbst dabei spielte. Er hatte sie 1951 in Mexico-City bei seinem berüchtigten missglückten Versuch, ein Glas von ihrem Kopf zu schießen, getötet. Auch die Editionsprinzipien erscheinen wunderlich: So macht Morgan willkürlich Auslassungen, „speziell Cut-up-Experimente, die nicht zum Brief selbst gehörten“, wobei das ja genau die Frage wäre. Zudem hätte die Anmerkung nicht geschadet, dass Burroughs einige seiner persönlichen Briefe an Ginsberg, die dieser ihm zur Verwahrung zurückgegeben hatte, vernichtete - vielleicht mit ein Grund dafür, dass man hier von Burroughs’ Homosexualität wenig liest.

          Bittere Ironien

          Erstaunlich aber der andere Ton, in dem Burroughs an seine Angehörigen schrieb. Gegenüber den eigenen Eltern klingt er, als wäre er zeitlebens in der Rolle eines kleinen Jungen geblieben, der trotzig seine Künstlerexistenz verteidigt. 1964 berichtet ihnen der Mann von fünfzig Jahren stolz, er habe zweitausend Dollar auf einer Bank in Gibraltar: „Sieht so aus, als würde ich mir endlich meinen Lebensunterhalt verdienen.“ Und dem Sohn William Burroughs Jr., genannt Billy, den er im Alter von vier Jahren zum Halbwaisen machte und der bei den Großeltern aufwuchs, schreibt der Vater so seltsame wie rührende Briefe: 1959 konfrontiert er den gerade Zwölfjährigen mit seinem Roman „Naked Lunch“ und seiner Drogensucht, später, als Billy selbst Bücher schreibt, tauschen sie sich über Scientology und Karate aus.

          Der Sänger Tom Waits bescheinigte Burroughs einmal einen ausgeprägten Sinn für Ironie. Geradezu irre wirkt diese angesichts eines Liedtextes, den der unbelehrbare Waffennarr Burroughs noch 1989 bei der Zusammenarbeit mit Waits für Robert Wilsons „Freischütz“-Adaption „The Black Rider“ schrieb: „I’ll shoot the moon right out of the sky.“ Um den Mond musste man sich bei seinen Schießkünsten keine Sorgen machen. Noch bitterer aber die Ironie, dass der Sohn Billy im Alter von nur dreiunddreißig Jahren an seiner Alkoholsucht starb.

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