Aus der F.A.Z.-Sachbuchbeilage : Der Übermensch auf Vortragsreise
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Sein Erfolg macht ihn unwiderstehlich, für sich selbst jedenfalls: Nassim Nicholas Taleb weiß, von welchen Prinzipien sich echte Siegertypen leiten lassen, Leute wie er. Doch wie viel Selbstlob verträgt ein Sachbuch?
Die Frage, warum dem Autor eines Sachbuches überhaupt Glauben geschenkt werden soll, ist nicht von der Hand zu weisen. Schließlich behaupten die einen dies, die anderen das Gegenteil. Ja, schlimmer noch, oft gibt es nicht einmal den Austausch von gegensätzlichen Argumenten, sondern ein Sachbuch steht einfach neben dem nächsten zum selben Thema. Das gilt besonders für Bücher, die singuläre Einsichten behaupten und insofern kaum andere Bücher neben sich dulden. Wenn also jemand sagt, er sehe etwas, was fast alle anderen nicht sehen, wie kann er da den Zweifel vermeiden, dass sie es darum nicht tun, weil es gar nicht da ist? Gibt es also Hinweise, aus denen sich Schlüsse ziehen lassen auf die Glaubwürdigkeit, von sagen wir: Nassim Nicholas Taleb?
Taleb war Börsenhändler an der Wall Street, er hat an Derivaten offenbar sehr ordentlich verdient. Bekannt wurde er durch seine Prognose, das amerikanische Bankensystem werde kollabieren, durch die Wetten, die er auf die Finanzkrise von 2008 abgeschlossen hat und durch zwei Bücher zur Wahrscheinlichkeit seltener Ereignisse. Sein Werk „Der schwarze Schwan“, ein internationaler Bestseller, behandelte 2007 gängige Irrtümer im Umgang mit Ungewissheit.
Steine haben keinen Lernbedarf
Damit sind schon ein paar Gründe bezeichnet, die man haben könnte, einem weiteren Buch von Taleb Glauben zu schenken. Man könnte sie die amerikanischen Gründe nennen. Der Mann ist erfolgreich. Er gründet das Handeln, das ihm den Erfolg brachte, auf Gesichtspunkte, die er in seinen Büchern vertritt. Er kann rechnen und reden. Außerdem hat er viele Freunde, die ihm recht geben, in jedem Kapitel erwähnt er ein paar.
Amerikanische Gründe sind das, weil es vermutlich keine Kultur gibt, die den Erfolg so ernst nimmt, so persönlich zurechnet und an ihn so weitreichende Schlussfolgerungen knüpft, wie die amerikanische. Der Typ von Sachbuch, den auch Taleb schreibt, ist ein Kind dieser Kultur. So unterschiedliche Autoren wie Dale Carnegie, Peter Drucker und Malcolm Gladwell gehören zu ihr, führen aber als erfolgreiche Autoren über den Erfolg nur eine schier endlose Liste dieses Genres an. Auch „Antifragilität“ handelt vom Erfolg und belegt seine Thesen ganz wesentlich durch den des Autors und durch seine Persönlichkeit, von der wir nur das Beste und jedenfalls das Kräftigste erfahren.
Auf gut sechshundert Seiten plus Glossar und Bibliographie exemplifiziert Taleb einen vergleichsweise übersichtlichen Gedanken. Alle möglichen Gebilde und Handlungssysteme, so lautet er, physische, psychische und soziale, Körper also, Bewusstseine und Organisationen, aber auch ganze Gesellschaften profitieren von Störungen. Sie nicht vorherzusehen ist entschuldbar, sich zu verhalten, als erfolgten sie nie, ist es nicht. Denn an ihnen, den Irritationen, Konflikten, Infektionen und Schmerzen, lernen soziale Gebilde wie Individuen. Steine sind robust und haben darum keinen Lernbedarf. Den Verstand hingegen, zitiert Taleb Ovid, wecken Widrigkeiten, sofern ein Verstand da ist. Der Verstand wäre darum in der Terminologie, die sich Taleb ausgedacht hat, „antifragil“ zu nennen.
Macht Hunger lernfähiger als Sättigung?
Die Antifragilität ist für Taleb ein universelles Prinzip und kann praktisch durch alles, was erfolgreich ist, illustriert werden. Man höre besser hin, wenn etwas Hintergrundgeräusch da sei. Schmerzen erzeugen Gedächtnis. Revolutionen werden mit der Stärke der Repression wahrscheinlicher. Muskeln und Knochendichte, meint er, wachsen unter Belastung. Zurückweisung facht die Passion erst an. Die Leute fahren vorsichtiger, wenn es keine Straßenschilder gibt, wenn sie sich also gefährdet sehen. Verrisse machen ein Buch erst recht interessant.