Rezension: Sachbuch : Zäher als die Zähesten
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Eine Bar in der Nähe eines Minenarbeiterlagers des Comstock in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts: Allabendlich treffen sich hier der Goldsucher Alkali Ikes und der Schneider Jakob W. Davis auf einen Drink, und allabendlich beklagt sich Ikes über seine durchs Einstecken von Mineralien dauernd zerrissenen Hosentaschen.
Eine Bar in der Nähe eines Minenarbeiterlagers des Comstock in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts: Allabendlich treffen sich hier der Goldsucher Alkali Ikes und der Schneider Jakob W. Davis auf einen Drink, und allabendlich beklagt sich Ikes über seine durchs Einstecken von Mineralien dauernd zerrissenen Hosentaschen. Dem Lamento des Kameraden lauschend, entwirft Davis in seiner Phantasie bereits eine Hose aus Zeltstoff, deren Nähte mit jenen Nieten verstärkt sind, die gewöhnlich für Pferdedecken und Zaumzeug verwendet werden.
So liest sich eine von vielen Legenden über die Ursprünge der "Riveted Pants", den Vorläufer der heutigen Blue Jeans. Anna Schober weiht den Leser in ihrem Buch in die Sagen ein, die über die Entstehung jenes Beinkleides existieren. Die Autorin begreift den Werdegang der Blue Jeans dabei vor allem als eine Geschichte von Mythen.
Tatsache ist, daß sich der Schneider Jakob W. Davis 1872 in einem Schreiben an Levi Strauss & Co. als "Inventor der Riveted Pants" bezeichnet und das Unternehmen zur Patentierung seiner "Erfindung" anzuregen ersucht. Levi Strauss meldet die Hose tatsächlich vier Jahre später zum Patent an. Gründet die Beliebtheit der Blue Jeans zunächst auf zweckdienlicher Robustheit, so entwickelt sie sich immer deutlicher zum modischen Accessoire. In ihrer Analyse zeichnet Schober die Karriere der blauen Hose vom funktionalen Gebrauchsgegenstand zum Identifikationsmerkmal sozialer Gruppen. In Blue Jeans gekleidet zu sein wird zum Zeichen der inneren demokratisch-amerikanischen Gesinnung und läßt den wilden, sexuell aktiven Mann erkennen.
Das Thema mag eine vergnügliche Kulturgeschichte verheißen; doch handelt es sich um eine akademische und nicht unkomplizierte Analyse, in der Schober Methoden der Kulturgeschichte, Medienforschung und Psychoanalyse diskutiert. Bildmaterial wird nur in bescheidenem Maße dargeboten. Schober beschreibt - wissenschaftlich und gerade deshalb an dieser Stelle amüsant - die erste Werbeanzeige für Frauenjeans von Levi Strauss & Co. aus dem Jahre 1935: "Die Jeans der beiden Western-Girls sind eng gegürtet und fallen in weichen Falten die langen Beine entlang; die beiden stehen in demonstrativer, ästhetisch gefälliger Standbein-Spielbein-Stellung, ohne miteinander zu kommunizieren und ohne eine Geste der Aktivität." An dieser wie an anderen Passagen läßt Schobers Beschreibung die entsprechende Bilddokumentation vermissen.
Die Historie der Blue Jeans schreibt Schober sowohl als eine Geschichte der Medien wie als eine der Wahrnehmung ebendieser Medien. So zeichnet die Autorin parallel auch eine Geschichte des Fotografierens und der Film- und Kinowelt. Überdies diskutiert sie die Willenslenkung durch die Werbeindustrie, die den Einsatz der Hose bald für ihre Zwecke entdeckte. Dafür analysiert sie Filmszenen, Propaganda- und Werbeplakate. Eine Szene aus dem Film "River of no Return" (1954) gibt Anlaß zur Frage, was die Blue Jeans zur "Sexualisierung" des öffentlichen Bilds von Marilyn Monroe beigetragen haben. Nicht selten jedoch fühlt sich der Leser in ein Buch über Marketingstrategien versetzt, etwa wenn die Autorin an Stummfilmszenen aufzeigt, wie die Grundlagen des product placement und der Auswertung von Konsumentenverhalten aussehen, die die Rezeption von Filmen zunehmend "zu einem Blick auf Waren" werden lassen.
Das Phänomen, welches diese Hose von anderen unterscheidet und ihre Faszination ausmacht, bringt Schober am Ende auf den Punkt: "In diesen pants kann ich ,neu' sein und ,nackt' sein, kann in die Menge eintauchen und unsichtbar werden und gleichzeitig als einzigartiges Wesen aus ihr herausragen, kann ich ein Bekenntnis zur Zukunft und zum Fortschritt abgeben und doch ,ursprünglich', ,ewig' und ,natürlich' sein." Die Blue Jeans stehen symbolisch ebenso für das Verschmelzen mit der Masse als auch für höchste Individualität: Zeige mir deine Jeans, und ich sage dir, wer du bist.
CHRISTINA ZINK.
Anna Schober: "Blue Jeans". Vom Leben in Stoffen und Bildern. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 2001. 328 S., 38 Abb., br., 29,65 [Euro].