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Rezension: Sachbuch : Wohnen im Wort

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Dreihundert Seiten Gottesdienst: Eine Biographie zu Rose Ausländer

          4 Min.

          Nicht viele Dichter haben zur deutschsprachigen Poesie dieses Jahrhunderts so intensiv beigetragen wie Rose Ausländer, die Jüdin aus Czernowitz in der Bukowina. Dieser Satz sagt sich leicht hin, doch in Wahrheit signalisiert er schon die atmosphärischen Spannungen, die zwischen der Lyrikerin und ihrem deutschen Publikum zwangsläufig existierten. Es kann ja nicht als selbstverständlich gelten, daß eine Frau, die Verwandte und Freunde unter deutscher Verfolgung sterben sah und selbst nur mit knapper Not davonkam, das Volk der Mörder mit ihrer Kunst bereichert. Daß Rose Ausländer dies tat, weckt Neugier auf die Persönlichkeit hinter den Gedichtbänden, auf das Leben, das ihre Verse gebar.

          Auf diese Neugier setzt Cilly Helfrich, die Verfasserin einer soeben erschienenen Ausländer-Biographie. Die Autorin, dem Klappentext zufolge vierzig Jahre alt, Germanistin, Lehrerin in Ulm, ist dem Objekt ihrer Forschung in Verehrung verbunden. Sie grub nach allem und sammelte eine immense Fülle. Als Resultat legt sie nun eine Arbeit vor, die sämtliche nur wünschbaren Auskünfte gibt und darüber hinaus noch Fragen beantwortet, die zu stellen einem von allein gar nicht eingefallen wäre.

          Das Scheinwerferlicht fällt zunächst auf die Bukowina, wo Rose Ausländer, damals Rosalie Scherzer, 1901 geboren wurde. Zu jener Zeit lag die Hauptstadt Czernowitz nur dreißig Kilometer entfernt von der russischen Grenze, dagegen achthundert Kilometer weit weg von Wien. Und doch war es Wien, an dem sich das Bukowiner Bildungsbürgertum, vor allem dessen jüdischer Teil, orientierte. Hier haben wir den ersten der Gründe für die deutsche Prägung in Geist und Ausdruck der Lyrikerin Rose Ausländer.

          Sie selber sprach später vom "Mutterland Wort" und meinte damit das Refugium, das ihr zuverlässig blieb, wenn sonst ihr Boden wankte. Er tat dies, als nach dem Ersten Weltkrieg das k. u. k. Reich sich auflöste und seine relative Toleranz von hitzigen Nationalismen ersetzt wurde, denen auch Antisemitismus beigemischt war. Zur gleichen Zeit wurde die junge Frau gedrängt, nach Amerika auszuwandern: Ihre Mutter sah Existenzmöglichkeiten daheim nur noch für sich selbst und den jüngeren Sohn. Aus den Indizien, die Cilly Helfrich anhäufte, wird recht deutlich, welch gebrochenes und dennoch unlösbares Verhältnis zwischen Tochter und Mutter bestand. Deutlich auch, daß dieses Verhältnis schwerer wog als die Ehe mit Ignaz Ausländer, die nie als Ersatz für die verlorene Geborgenheit getaugt hatte und auch nur drei Jahre hielt. Danach blieb als Zuflucht nur die Intimität mit dem Wort.

          Wie ihre Gedichte aus der ersten amerikanischen Periode belegen, wurde Rose Ausländer im Exilland, insbesondere in der Megalopolis New York, nicht heimisch. 1931 kehrte sie zurück, pflegte die kranke Mutter, erfuhr in der Beziehung zu dem Graphologen Helios Hecht die Liebe ihres Lebens - und geriet ein knappes Jahrzehnt später ins Mahlwerk der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Rose und die Ihren kamen wohl nur davon, weil die deutschen Endlöser die blutige Arbeit rumänischen Helfershelfern übertrugen und diese weniger planvoll vorgingen als ihre Meister.

          Dennoch siedelte, nach einem zweiten Versuch in Amerika, Rose Ausländer nach Deutschland über. Sie war zuvor quer durch die Welt gereist, hatte Wien ausprobiert und Venedig, schließlich auch Israel. Aber ihren Wohnsitz nahm sie dann, 1965, in Düsseldorf und blieb dort bis zu ihrem Tode 1988. Sicherlich heißt es zu weit zu greifen, wollte man daraus ein Zuhausegefühl ableiten. Sie selbst schrieb: " . . . und wir wohnen / im Wort / Und das Wort ist / unser Traum / und der Traum ist / unser Leben." Dieses Wort aber war deutsch von Kindheit her, und die Dichterin suchte den zentralen Ort ihres Wortes. Die Periode nach der Verfolgung, in der die Weltwanderin sich dem Englischen zuneigte, hatte nur kurz gedauert.

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