Rezension: Sachbuch : Vom Urpark zum Kurpark
- Aktualisiert am
Zwischen Ökologie und Ästhetik: Die Geschichte der Landschaft bleibt ein weites Feld / Von Ulrich Raulff
In jedem Werk der Wissenschaft, es mag so gut sein, wie es will, findet sich ein schrecklich-schöner Satz; man muß nur lange genug suchen. In dem soeben erschienenen Buch über die Geschichte der Eifel eröffnet er die düstere Passage, die vom säkularen Kampf des Menschen gegen die Ratte handelt. Beschrieben wird, wie Neroth, ein Dorf im Kreis Daun, "zum Innovationszentrum des rheinischen Fallengewerbes emporstieg". Wer das gelesen hat, ist für den Horror der folgenden mäusemörderischen Szenen unempfänglich. Denn nichts kann schrecklicher sein als ein echtes Innovationszentrum.
Dabei spricht die dann geschilderte Erfindung, Herstellung und Kolportage von sogenannten "Lebendfallen" für die grauen Nager nicht nur vom innovativen Geist der Eifeler Bauern und Handwerker. Im Bericht von den Nerother Hausierern zeigt sich auch, wie geschickt die Autorin, Sabine Doering-Manteuffel, den Bogen ihrer Darstellung zu spannen versteht: von den katastrophalen Existenzproblemen, welche mit der anfangs des 19. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung über eine ehedem blühende Wirtschaftsregion kamen - bis zu den individuellen Erfahrungen des allgemeinen Elends und den zuweilen kuriosen Auswegen daraus. Selten las man so genau beschrieben, was es bedeutet, wenn die Industrialisierung "in die Berge geht". Denn auch die Historie neigte, wie der gelegentlich zitierte Hermann Aubin schon 1925 bemerkte, dazu, die Gebirge zu umgehen.
Sabine Doering-Manteuffel erweist sich als kundige Führerin durch die Berge und Täler einer außer in Kriegszeiten (der Westwall, die Schlacht im Hürtgener Wald . . .) wenig beachteten deutschen Landschaft. Der geohistorische Auftakt, in dem sie Boden und Klima der Eifel beschreibt und die historischen Konturen des Siedlungsraums umreißt, zudem ihr selbstgestecktes Ziel, auf dem Weg über die Formen der Bewirtschaftung und die Stile des Zusammenlebens endlich bis zur Mentalität der Bewohner vorzudringen, wecken augenblicklich die Erwartung, es solle der ganz große Wurf nach französischem Vorbild gewagt und die "histoire totale" einer Region geboten werden. Tatsächlich sind die Intentionen der Autorin zeitlich und von der Sache her begrenzter. Sie will die Geschichte einer Landschaft schreiben, die vom Sturm der industriellen Moderne erfaßt und aus dem Schlummer ihrer ökonomischen und demographischen Balance gerissen wird.
Das ist ihr auch gelungen: Die Kapitel über die Industriellen der Eifel, die Prym und Hoesch auf der einen, die mittellosen Auswanderer nach Amerika auf der anderen Seite sind ebenso eindrucksvoll geraten wie die Geschichte der Bildung erst unter kirchlichem, dann antiklerikalem, französischem Regiment. Am spannendsten liest sich die Darstellung des Lebens in einem durch die Arbeitsemigration der Männer verödeten "Weiberdorf". Gebietet doch hier die Autorin plötzlich über ein Maß an Erzählkunst, das eines Robert Darnton, eines Alain Corbin würdig wäre: Indessen handelt es sich nur um die Paraphrase eines naturalistischen Romans der Erzählerin Clara Viebig.