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Rezension: Sachbuch : Ottheinrichs Winterreise nach Krakau: Die früheste bekannte Ansicht rückt Berlin vor die blauen Berge

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Der lebensfrohe Musenfreund Ottheinrich von der Pfalz (1502 bis 1559) war in seinen jüngeren Jahren ein reiselustiger Herr; man hat seit langem bedauert, daß der Teil seines Reisetagebuchs, der seine Eindrücke im Heiligen Land schildert (1521), verloren oder noch nicht wiedergefunden ist. Jetzt wurde ...

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          Der lebensfrohe Musenfreund Ottheinrich von der Pfalz (1502 bis 1559) war in seinen jüngeren Jahren ein reiselustiger Herr; man hat seit langem bedauert, daß der Teil seines Reisetagebuchs, der seine Eindrücke im Heiligen Land schildert (1521), verloren oder noch nicht wiedergefunden ist. Jetzt wurde ein prächtiges Reisebuch desselben Fürsten überzeugend identifiziert und glänzend publiziert: Ottheinrichs Winterreise von seiner Residenz Neuburg an der Donau über Prag nach Krakau (27. November 1536 bis Neujahr 1537). Am Ziel angelangt, wurde dem polnischen König Sigismund I. ein bereits sechzig Jahre alter Schuldschein über 32000 Dukaten präsentiert - und zur Erleichterung des ewig in Geldnöten befindlichen Pfalzgrafen (später Kurfürsten) Ottheinrich im wesentlichen auch eingelöst.

          Mit einem Spezialauftrag des polnischen Königs reiste der Pfälzer über Breslau nach Berlin zum brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. und kehrte über Wittenberg und Leipzig Ende Februar 1537 in seine kleine Residenz an der Donau zurück.

          Angelika Marsch hat nun die künstlerische Dokumentation dieser Reise gefunden in Form von fünfzig farbigen Blättern mit Ansichten von Städten, Burgen und Residenzen entlang der Route. Sie sind als anonymer Sammelband im Querformat (38 mal 49 Zentimeter) über das fränkische Kloster Ebrach schon 1803 in die Würzburger Universitätsbibliothek gekommen; fast zweihundert Jahre danach wird das Buch mit der Signatur "Delin.VI" in seinem Wert als älteste in fürstlichem Auftrag entstandene Ansichtenfolge aus Mitteleuropa erkannt. Auf den Blättern finden sich frühe, zum Teil sogar früheste Darstellungen deutscher, böhmischer, schlesischer und polnischer Städte (zum Beispiel Frankfurt an der Oder, Berlin, Wittenberg, Leipzig, Gera).

          Der Künstler dieses einzigartigen Reise-Bilderbuchs in Federzeichnungen, die mit Aquarell- und Deckfarben ausgemalt und mit Goldhöhung versehen sind, wird in der Nachfolge Dürers gesucht; Dürer nämlich hat mit der Aquarellfolge seiner "Italienischen Reise" den Werktyp geprägt. Die in allen Einzelheiten von deutschen, tschechischen und polnischen Autoren analysierten Ansichten erweisen sich im allgemeinen als wirklichkeitsgetreu, wenn auch hie und da der Reisezeichner künstlerisch inszeniert. Das hier abgebildete Berlin-Blatt - die älteste bisher bekannte Darstellung der Stadt - bietet dafür ein gutes Beispiel. Das von Nordosten gesehene Stadtbild wird von monumentalen Kirchenbauten und den mächtigen Rundtürmen der Stadtbefestigung beherrscht. Bei der Kirche unmittelbar über dem im Vordergrund stehenden Bildstock handelt es sich um St. Nikolai; die massige Kirche rechts ist St. Marien. Kirchen und Türme sind im Sinn des "Bedeutungsmaßstabs" vergrößert dargestellt. Ganz der Phantasie des Künstlers entstammen die blauen Berge im Süden von Berlin.

          WALTER BERSCHIN

          Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/37. Faksimileband mit 50 teils gefalteten Ansichten und Kommentarband, herausgegeben von Angelika Marsch mit Josef H. Biller und Frank-Dietrich Jacob. 504 S. mit 12 Tafeln und 108 Abbildungen. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn. 498 Mark.

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