Rezension: Sachbuch : Nichts Neues, sondern das Alte neu malen
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Im Dickicht der Rezeption - Rembrandt und die deutsche Kunst um 1900 · Von Thomas W. Gaethgens
Die These, die Moderne stelle einen Bruch in der Entwicklungsgeschichte der Kunst dar, ist oft in Zweifel gezogen, wenn nicht längst widerlegt worden. Die gewichtige Rolle der Auseinandersetzung der Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts mit den Werken älterer Meister ist bekannt. Ingres und Goya waren für Picasso, Dürer und Cranach für Dix Vorbilder oder bewunderte Partner auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Mit seiner materialreichen und anregenden Untersuchung über Rembrandt und die Moderne vermag Johannes Stückelberger den um 1900 Rembrandt gewidmeten Kult zu rekonstruieren, der als eine Quelle der deutschen Moderne angesehen werden muß. An einigen Malern um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert, Liebermann, Slevogt, Corinth und Nolde, wird aufgezeigt, wie das Studium von Rembrandts Werk die Technik und Kunstauffassung dieser Maler entscheidend prägte. Ihre euphorischen Aussagen über den holländischen Meister legen geradezu eine harmonisierende und versöhnende Weltsicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart nahe. Keine Rede ist von Umsturz, vielmehr nahmen die modernen Maler die Lehre des alten Meisters an.
Dem Rembrandt-Kult in Deutschland ging die Wiederentdeckung des Malers in Frankreich nach dem Klassizismus voraus. Sie wurde ausgelöst durch die realistischen, politisch erregten Strömungen vor der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Das liberale Bürgertum sah in der holländischen Republik des siebzehnten Jahrhunderts ein gesellschaftspolitisches Modell, von dessen Ordnungsliebe, Reichtum und Geborgenheit die Malerei Zeugnis abzulegen schien. Für den Schriftsteller, Politiker und nach 1848 im holländischen Exil lebenden Théophile Thoré-Bürger, den ersten Verfasser einer Monographie über Vermeer, konnte die Kunst der italienischen Renaissance nicht mehr als Vorbild dienen. A société nouvelle, art nouveau hieß die Parole, die Rembrandt anpries und Raffael entthronte.
Der deutschen Kunstgeschichte kommt das Verdienst zu, einen entscheidenden Beitrag zum quellenkritischen Rembrandt-Bild geleistet zu haben. Nach 1880 trug dazu insbesondere Wilhelm von Bode bei. Seine Erwerbungen für die Berliner Museen und seine zahlreichen Publikationen schufen die Grundlage einer auf wissenschaftlicher Kennerschaft beruhenden Darstellung von Leben und Werk des Malers. Bodes Ankäufe und seine Publikationen haben sicherlich nicht unwesentlich zu dem wahren "Rembrandt-Fieber" beigetragen, das sich um 1900 ausbreitete. Mit der großen Retrospektive im Jahre 1898 in Amsterdam und den Feiern zu seinem dreihundertsten Geburtstag 1906 fand die Beschäftigung mit dem Werk sowohl durch die Wissenschaftler als auch durch ein großes Publikum ihre Höhepunkte.
Die Rembrandt-Begeisterung rief jedoch auch heute kurios erscheinende, damals emphatisch begrüßte ideologisch-wirre Programm- und Erweckungsschriften auf den Plan. In Julius Langbehns "Rembrandt als Erzieher", seit 1890 ein Bestseller im deutschen Kaiserreich, ist von dem Maler eigentlich kaum die Rede. Gleichwohl nutzte und förderte das Buch, in dem ein seltsamerweise urdeutscher Rembrandt zum Prototyp "einer durchgreifenden Reform des jetzigen deutschen Geisteslebens" erkoren wurde, das allgemeine Interesse an dem Künstler. Bismarck, der das Buch schätzte, traf auf Vermittlung Bodes mehrfach mit Langbehn zusammen. In späteren Auflagen scheute sich der Autor nicht, Bismarcks Staatskunst mit Bildern Rembrandts zu vergleichen.
Im Dickicht der Rembrandt-Rezeption ist nun der künstlerische Bereich klarer zu erkennen. Für Max Liebermann stellte Rembrandt eine moralische Instanz dar, "etwas wie das lebendige Gewissen des Künstlers", wie er Alfred Lichtwark gegenüber äußerte, mit dem er die Ausstellung in Amsterdam 1898 besichtigte. Rembrandt war für Liebermann ein moderner Maler, da seine Kunst auf individueller Naturanschauung beruhe und die sinnliche Erfahrung mit schöpferischer Phantasie umgesetzt werde. Idealisierung und Historisierung waren Liebermann fremd, wodurch er in Konflikt mit der von der Akademie bevorzugten, von Anton von Werner geförderten Ausrichtung gelangte. Neben Frans Hals und den französischen Impressionisten verehrte Liebermann auch Rembrandt sein Leben lang. "Der eigentliche Maler sucht nichts Neues zu malen, sondern das Alte neu zu malen", sagte er und stellte sich mit dieser Aussage gegen alle Vorstellung einer Moderne, die mit Traditionen zu brechen habe.