Rezension: Sachbuch : Leben im Entwurf
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Je mehr er von den geschichtlichen Katastrophen eingeholt wurde, um so stärker hat der späte Rudolf Borchardt seine Schreibenergien aus dem Antrieb bezogen, "für die überwundene Sache zeugen zu wollen". So steht es im letzten Satz seines letzten zu Lebzeiten erschienenen Buches, "Pisa. Ein Versuch" (1938), und neben diesen Satz hat Borchardt die Marginalie "Causa Victa" gesetzt.
Je mehr er von den geschichtlichen Katastrophen eingeholt wurde, um so stärker hat der späte Rudolf Borchardt seine Schreibenergien aus dem Antrieb bezogen, "für die überwundene Sache zeugen zu wollen". So steht es im letzten Satz seines letzten zu Lebzeiten erschienenen Buches, "Pisa. Ein Versuch" (1938), und neben diesen Satz hat Borchardt die Marginalie "Causa Victa" gesetzt. Er plante in seinen letzten Lebensjahren ein Buch über Kleopatra, das, wie er 1942 in einem Brief schrieb, "in mancher Hinsicht" ein Pendant zu "Pisa" hätte werden sollen: "auch eine Causa Victa". Denn sein Kleopatra-Buch wäre ja zugleich ein Buch über Cäsar geworden, und die Laufbahn Cäsars ist Borchardt, wie es 1943 im Entwurf eines Briefes an Bernard Berenson heißt, als "die vielleicht größte und trostloseste aller causae victae in der Weltgeschichte" erschienen. Als er, der "Patriot und Monarchist", 1942 eine Sammlung seiner politischen Schriften plante, da stand ihm deren Titel klar vor Augen: "Causa Victa, conservative Papiere 1908-1932". Wollte man den Band, der die Briefe aus Borchardts letztem Lebensjahrzehnt versammelt, unter ein Motto stellen, so könnte es schwerlich anders als "Causa Victa" lauten.
Daß die eigene Sache nach dem Sieg der Nationalsozialisten, zu dem Borchardt als wütender Verächter der Weimarer Republik durchaus das Seine beigetragen hatte, eine verlorene war, zeigen bereits die Proportionen des Bandes: Mehr als die Hälfte der 187 Briefe trägt den Vermerk "Entwurf" oder "Nicht abgesandt". Zu ihnen zählen viele der wichtigsten Stücke: Briefe an Edgar Dacqué, Johan Huizinga, Eckart Peterich, Ludwig Curtius, Bernard Berenson - Geistergespräche in einem resonanzlosen Raum. Immer wieder setzt Borchardt in seinem italienischen Exil dazu an, seinen in Deutschland gebliebenen Freunden, insbesondere Karl Foerster und Hugo Schaefer, von seinen Entdeckungen zur Geschichte des Gartens oder zur Datierung der Epen Homers und von seinen schriftstellerischen Plänen zu berichten, um dann aber, oft nach Dutzenden von Seiten, seine zu großen wissenschaftlichen Abhandlungen ausgewachsenen Briefe wieder abzubrechen. Borchardts späte Briefe sind Poesie einer großen Einsamkeit. Oft scheint es, er habe sie, abgeschnitten von seinen Gesprächspartnern, an sich selbst gerichtet. Der Satz "ich bin mir selber vollkommen berühmt genug", den ihm sein herrlicher Hochmut 1943 in einem ebenfalls nicht abgesandten Brief in die Feder diktiert hat, erweist sich in diesem Licht als eine bittere Pointe auf die Situation des Exils.
Denn Borchardt, den der nationalsozialistische Rassenwahn nach 1933 fast aller Publikationsmöglichkeiten beraubt hatte, hat sich gegen die Widerstände der Zeit auch fernerhin mit aller Kraft darum bemüht, sein Publikum zu erreichen. Bis zu seiner letzten Stunde plante er unablässig die Veröffentlichung neuer Bücher, Neuausgaben seiner Werke, vielbändige Gesamtausgaben, dies in ständigem Hader mit sämtlichen Verlegern: "Der Verleger ist der natürliche Feind des Autors, den er sich ziehen will wie ein essbares Haustier, um von ihm zu leben." Als ihn die Verhältnisse dazu zwangen, seinen wenig glanzvollen Roman "Vereinigung durch den Feind hindurch" 1937 im Bermann-Fischer Verlag in Wien herauszubringen - in "einem Verlage der das Unglück unserer Literatur gewesen ist und den ich mein ganzes Leben lang als Unglückstifter bezeichnet und bekämpft habe" -, da brachte er, der jeden griechischen Vers druckreif aus dem Kopf zitieren konnte, es fertig, seinem neuen Verleger Gottfried Bermann-Fischer dadurch seine Verachtung zu bezeugen, daß er dessen Namen in Anschrift und Anrede auf jeweils unterschiedliche Weise falsch schrieb. Daß gerade im Fall Bermann-Fischers Borchardts Hochmut in böse Verblendung umgeschlagen war, kann man einem im Januar 1937 konzipierten Brief an Peter Voigt entnehmen: "Es sind Literaturjuden, die mit Poesie nichts anfangen können und die mit den Augen mauscheln wenn Herr von Musil ihnen sagt wer heut in Deutschland das schönste Deutsch schreibt."