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Rezension: Sachbuch : Ich will sein wie die anderen, aber anders

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Als das Licht am Ende des Tunnels gleißend auf ihn fiel, hatte er eine lange Strecke hinter sich. Zwar waren seine beiden ersten Romane von der Kritik wohlwollend aufgenommen worden, doch hatten sie bei den Lesern wenig Beachtung gefunden. Im April 1996 war Jonathan Franzen zu depressiv, um ein neues Buch zu beginnen.

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          Als das Licht am Ende des Tunnels gleißend auf ihn fiel, hatte er eine lange Strecke hinter sich. Zwar waren seine beiden ersten Romane von der Kritik wohlwollend aufgenommen worden, doch hatten sie bei den Lesern wenig Beachtung gefunden. Im April 1996 war Jonathan Franzen zu depressiv, um ein neues Buch zu beginnen. Als eine Art Eigentherapie schrieb er einen Essay, der ursprünglich "Perchance to Dream" (Vielleicht auch träumen) hieß und der inzwischen nach seinem Erscheinungsort nur der "Harper's Essay" genannt wird. Mit einer unmittelbar ansprechenden Mischung aus verzweifelter Ehrlichkeit, gesellschaftlicher Analyse und persönlichen Erfahrungen machte Franzen sich Gedanken über die Notwendigkeit, heute noch Romane zu schreiben. Es war der kompromißlose "Befreiungsakt eines in die Krise geratenen Schriftstellers" und eine Feier der Lust am Schreiben.

          Die Geschichte, wie der Roman "Die Korrekturen" Jonathan Franzen sozusagen über Nacht berühmt machte, ist oft erzählt worden. Mit dem Ruhm kamen die Pflichten: Lesungen, Interviews, Podiumsdiskussionen. Fernsehen, Zeitungen, Radio. Autogrammstunden und lange Flüge. Jonathan Franzen fliegt nicht gern. Notgedrungen ist er zu einem global player jener Kultur geworden, gegen deren schrille Überreiztheit er anschreibt. Gerade ist sein Essayband "How to be alone" parallel in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Deutschland (unter dem Titel "Anleitung zum Einsamsein") erschienen - Tribut an seine internationale Leserschaft. Die dreizehn Essays, die der Band versammelt, stammen aus den Jahren 1994 bis 2001. Ihre disparate Anmutung hat nicht nur mit der Unterschiedlichkeit der Themen zu tun, sondern auch mit dem gewachsenen Selbstvertrauen Franzens. Er wird gelesen, von mehr Menschen, als er sich womöglich je hätte träumen lassen, und ja, auch von Menschen, die nicht besonders klug oder gebildet, nicht besonders dünn, chic oder reich und vielleicht nicht einmal über die Maßen sensibel sind, eben von Durchschnittsmenschen. Von diesen Menschen schreibt er. Aber schreibt er auch für sie?

          Elite - der Begriff spielt bei Franzen eine große Rolle, vor allem, weil er eigentlich nichts mit ihm zu tun haben will. Er sei nicht elitär, insistiert er - und muß doch zugeben, daß "der elitäre Geist der modernen Literatur die Aristokratie der Entfremdung" bezeugt. Die Vorstellung, daß Literatur einer höheren Berufung folgt, lehnt er dennoch ab, "weil sich der Elitedünkel nicht recht mit meinem amerikanischen Naturell verträgt". Aber das Publikum stellt er sich an anderer Stelle als "ein großes, bunt gemischtes Aufgebot leidlich gebildeter Leute" vor, "die durch hinreichend suggestive Rezensionen und aggressives Marketing dazu gebracht werden können, ein gutes, anspruchsvolles Buch zu lesen".

          Unverhofft ist der literarische Star in jene Rolle gerutscht, die er im "Harper's Essay" eher Schauspielern zuschreibt: "Das jedoch will das Publikum in erster Linie: Shirley MacLaine ein bißchen besser kennen." Nun erlebt er, daß dies auch für ihn gilt. Denn die meisten Leser werden diesen Essay-Band vor allem zur Hand nehmen, um den Verfasser der "Korrekturen" näher kennenzulernen. Das ist Franzen bewußt. In wohlüberlegten Dosen gewährt er Einblicke. Mit fast erschreckender Offenheit beschreibt er das Siechtum seines Vaters, der an Alzheimer erkrankt war - "Das Gehirn meines Vaters" läßt durchaus Rückschlüsse zu auf seine innige, fast zärtliche Beschwörung Alfred Lamberts in "Die Korrekturen". Außerdem erfahren wir, daß er von jedem seiner Briefe einen Durchschlag aufbewahrt oder daß er sich als Leser vor Sexszenen fürchtet: "In den meisten Romanen ist das einschlägige Vokabular durch seinen Gebrauch in der pornographischen Literatur hoffnungslos verloren."

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