Rezension: Sachbuch : Die Plage der Nation
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Es war das Jahr, in dem die Häuser zwischen Kalifornien und Connecticut ständig geflaggt hatten. An den Seitenfenstern vieler Autos waren Fahnen angebracht, die lustig im Fahrtwind flatterten, und selbst auf manchen Telefonkarten sah man nur noch Stars and Stripes. Wer ein wenig älter ist, der mochte ...
Es war das Jahr, in dem die Häuser zwischen Kalifornien und Connecticut ständig geflaggt hatten. An den Seitenfenstern vieler Autos waren Fahnen angebracht, die lustig im Fahrtwind flatterten, und selbst auf manchen Telefonkarten sah man nur noch Stars and Stripes. Wer ein wenig älter ist, der mochte sich vielleicht daran erinnern, wie Jimi Hendrix nicht nur vom "Star Spangled Banner" sang, sondern es auch verbrannte. Doch das war kein guter Gag im patriotischen Jahr 2002. Die Linken waren auch nicht zu Scherzen aufgelegt, sie schwiegen zumeist bitter, weil Ari Fleischer, der Sprecher des Präsidenten, am 26. September 2001 gesagt hatte, "alle Amerikaner müssen aufpassen, was sie sagen und was sie tun". Die Demokraten beugten sich in der Irak-Frage dem Drängen des Präsidenten, und die diffuse Angst, die sich über das Land gelegt hatte, verdichtete sich, als der "Sniper" im Oktober drei Wochen lang den Alltag im Großraum Washington lähmte.
Es waren auch die Tage, in denen Michael Moores Dokumentarfilm "Bowling for Columbine" in die amerikanischen Kinos kam, der weder vor Satire noch vor schlechten Scherzen zurückscheut. Schon im April hatte der voluminöse Mann mit den hängenden Jeans, der großen Brille und der ewigen Baseballkappe die Bestenliste der "New York Times" erobert. "Stupid White Men and Other Sorry Excuses for the State of the Nation" wurde mittlerweile mehr als eine halbe Million Mal verkauft, obgleich es zunächst so aussah, als werde das Buch gar nicht auf den Markt kommen, weil es, wie der Untertitel der soeben erschienenen deutschen Ausgabe sagt, "eine Abrechnung mit dem Amerika unter George Bush" ist. Eine solche kann, wer unbedingt will, auch in Moores Film sehen, der im Mai in Cannes minutenlange Standing Ovations und einen Spezialpreis bekam und der internationalen Presse liebstes Vorurteil bestätigte, daß die amerikanische Bevölkerung aus einem Haufen schwer bewaffneter Ballermänner besteht.
Der 48jährige Moore ist eine Nervensäge, was man schnell bemerkt, da er in seinen Filmen stets persönlich erscheint. Er lauert Mächtigen und weniger Mächtigen wie ein Wegelagerer auf, er redet mal wie ein Gebrauchtwagenhändler und mal wie ein Großinquisitor, um dann wieder als neugieriger Passant oder besorgter Kunde aufzutreten. Seit er 1989 mit seinem ersten Film "Roger & me" den Autokonzern General Motors attackierte, hat Moore den Ruf des lustigen Populisten und Brachialsatirikers. Zu diesem Image paßt es bestens, daß er aussieht und argumentiert wie ein amerikanischer Jedermann und daß er wie der "guy next door" auch Mitglied der "National Rifle Association" (NRA) ist. Als Jugendlicher hat er sogar mal einen Scharfschützenwettbewerb gewonnen. Doch inzwischen hat Moore die Waffengattung gewechselt. Er schießt mit Worten und Bildern, die er zu einer Art Schrotladung mischt, woraus bekanntlich eine enorme Streuung entsteht und wobei längst nicht jede Kugel das gewünschte Ziel erreicht.