Rezension: Sachbuch : Der wasserdichte Abendanzug
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Proust auf deutsch: Was die revidierte Übersetzung leistet · Von Friedmar Apel
Die Geschichte des deutschen Proust, man erfährt es in der Monographie der Berliner Übersetzerin Nathalie Mälzer, ist kurz und sonderbar. Sie begann mit einem Desaster: 1922 erwarb der ambitionierte Kleinverlag "Die Schmiede" die Proust-Rechte und beauftragte den jungen Altphilologen Rudolf Schottlaender mit der Übersetzung des ersten Bandes. Unter dem Titel "Unterwegs zu Swann" lag er 1926 vor. In verdächtig kurzer Frist erschien dazu in der "Literarischen Welt" eine vernichtende, pedantische Kritik des legendären Romanisten Ernst Robert Curtius, die das Urteil, das Werk Prousts sei "vom Verdeutscher übel zugerichtet worden", auf eine Liste gründete, die den Übersetzer mangelnder Französischkenntnisse und stilistischer Unfähigkeit überführen sollte. Curtius freilich hatte sich zuvor dem Verlag vergeblich als Übersetzer Prousts angedient und war so als Rezensent eigentlich nicht sehr schicklich. Von Hermann Hesse bis Thomas Mann gab es bald auch andere Meinungen über Schottlaenders Text, die jedoch niemand öffentlich kundtat. Curtius brachte die deutsche Proust-Rezeption nachhaltig ins Stocken.
Der Verlag versuchte zwar einen neuen Anfang mit Franz Hessel und Walter Benjamin, und 1927 erschien auch der zweite Band in neuem Format unter dem Titel "Im Schatten der jungen Mädchen". Dann aber war es um "Die Schmiede" schon geschehen, und die Rechte wurden von Ernst Reinhard Piper erworben, der das Projekt mit Hessel und Benjamin fortzusetzen gedachte. Die beiden versuchten freilich, teils aus leidvoller Erfahrung, teils aus propagandistischen und finanziellen Gründen, die Aufgabe der Proust-Übersetzung als titanisches, beinahe unmögliches Unterfangen hinzustellen. Proust sei, so schrieb Hessel an Piper, "unter den modernen Franzosen der, welcher bis in die letzte stilistische und syntaktische Nuance seinem Übersetzer die größten Schwierigkeiten bereitet und, wie er selbst immer wieder verbessert hat, auch in der Übersetzung immer wieder verbessert werden muß". Benjamin jedoch verlor alsbald die Lust an der "elenden Schinderei", der Proust sei in "lieb- und ahnungslose Hände" geraten, was die Situation des deutschen Proust-Verständnisses nur widerspiegele. 1930 erschien noch der Band "Die Herzogin von Guermantes", dann war Schluß, und der Piper-Verlag ging zur "großen Satisfaktion" Benjamins ebenfalls in Konkurs.
Als sich Peter Suhrkamp auf Anregung Hermann Hesses 1949 entschloß, den ganzen Proust der "Recherche" in einer einheitlichen Übersetzung herauszubringen, fehlte es denn auch nicht an warnenden Stimmen, die auf die steckengebliebene Proust-Rezeption in Deutschland und die enormen Schwierigkeiten der Übersetzung hinwiesen. Suhrkamp aber verfolgte auch pädagogische Absichten, wollte den Deutschen via Proust literarische Erinnerungsarbeit verordnen. Als Übersetzerin wurde nach einer Art Wettbewerb ironischerweise schließlich die Curtius-Schülerin Eva Rechel-Mertens verpflichtet. Sie übersetzte das Werk innerhalb von nur vier Jahren, so daß zwischen 1953 und 1957 die sieben Bände der ersten vollständigen Übersetzung erscheinen konnten. Sie wurde ein überraschender Erfolg.