Rezension: Sachbuch : Der Vogel auf dem Telefondraht
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Ira B. Nadels Biographie über Leonard Cohen / Von Burkhard Spinnen
Als ich anfing, Musik zu hören, immer bei Freunden, waren seine Lieder schon da. Noch gar nicht lange, ein paar Jahre erst, das weiß ich heute, aber damals schien es mir, als seien sie immer schon dagewesen; vor den Stones, vor den Beatles. "Songs of Leonard Cohen", "Songs from a Room" - das waren LPs, die Anfang der siebziger Jahre in allen größeren Sammlungen standen, aber auch in vielen der schmaleren Plattenstapel neben der Stereoanlage. Und "Suzanne", "The Stranger Song", "Bird on the Wire" waren Stücke, die ich vielleicht selbst nie aufgelegt habe, die aber so oft liefen, daß ich heute beim Wiederhören mit einem gewissen Schrecken feststelle, daß ich die Texte auswendig weiß.
Anfang der siebziger Jahre. Woodstock lag zurück, und mit ihm war der Wunschtraum verschwunden, alle Musik, egal ob von Country Joe, von Joan Baez oder von Jimi Hendrix, könne das eine Lebensgefühl der Jugend ausdrücken, könne ihren einen Wunsch nach einer totalen Umgestaltung der Gesellschaft transportieren. Nein, Anfang der siebziger Jahre hatte sich die populäre Musik längst parzelliert, war sie für ihre Hörer ein Mittel zur Differenzierung geworden. Und wenn damals Leonard Cohens Platten in vielen und in vielen verschiedenen Sammlungen standen, dann rührte das wohl daher, daß mit seinen Songs vor allem die Überzeugung transportiert wurde, der einzelne sei nichts als der einzelne, schwer zu verstehen, immer nahe am Scheitern, sprich: daß er zur Revolution nicht tauge. Dergestalt also war es, im Umkehrschluß, der letzte Akt gelingender Gemeinsamkeit, Cohen zu hören.
Freilich, einer schweigenden Gemeinsamkeit. Was die anderen hörten, weiß ich nicht. Ich selbst bin sicher, nichts wirklich verstanden zu haben. Das heißt, ich habe Cohens Texte so verstanden, wie ich heute ein Gedicht verstehen möchte. Wahrscheinlich diente mir seine Musik, ein perfekter Zusammenklang von Text, Stimme, Melodie und Rhythmus, als eine halb unbewußte Einübung in die Gesten und die Posen der Melancholie. Und heißt es nicht, man müsse nur lachen, um heiter, nur weinen, um traurig zu werden? Zwischen den Vertracktheiten von "Genesis", der Begeisterung von "Chicago", der Feinnervigkeit Chick Coreas und der Verschmitztheit J. J. Cales ließ sich mit Leonard Cohen für die Dauer von einer oder zwei LP-Seiten genau die Stimmung, die Haltung simulieren, mit der auf Enttäuschungen zu reagieren wäre, die sich erst noch einzustellen hatten.
Jetzt ist Cohen 63 Jahre alt geworden. Und er hat eine Biographie bekommen, geschrieben in Kanada, seiner Heimat, und sogleich ins Deutsche übersetzt. Ein ambivalentes Geschenk zu einem unrunden Geburtstag. Denn eine Biographie zu Lebzeiten birgt ebenso viele Chancen wie Gefahren. Die Chancen liegen auf der Hand: Wenn der Mensch noch lebt, warum sollte dann sein Biograph nicht die Möglichkeit wahrnehmen, Informationen direkt von der Quelle zu schöpfen? Doch genau daher rühren auch die Gefahren. Denn in aller Regel hegt der Biograph mehr als wissenschaftliches Interesse an seinem Gegenstand, oft begegnet er ihm mit Verehrung. Und so mag bisweilen der Wunsch, dem Text die Auszeichnung "autorisiert" zu verschaffen, manch kritischen Impetus oder sogar schon eine distanzierte Haltung zugunsten schierer Apologie aufgeben lassen.
Leonard Cohen habe, so heißt es im Vorwort von "Various Positions", seine Biographie des amerikanischen Literaturkritikers Ira B. Nadel "toleriert"; "wohlwollend toleriert", so habe er, laut Nadel, nach einem Moment des Nachdenkens hinzugesetzt. Dieses Wohlwollen kann ihm nicht allzu schwer gefallen sein. Denn tatsächlich erscheint "Various Positions" über weiteste Strecken als eine aus Briefen, Interviews, Gesprächen und natürlich aus den Gedichten und Songtexten des Autors montierte Quasi-Autobiographie.