Rezension: Sachbuch : Der eifersüchtige Ratgeber
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Sogar über die Hochzeitsnacht glaubte er sie aufklären zu müssen, um sich damit ebenso in die erotische Szene einzuschleichen wie seine Frau, wenn sie Helene Weyl die Vorzüge des "Gummi Pessars aus bestem Material (namens Ramses, Fabrikmarke)" anpries, ihr empfahl, sich beibringen zu lassen, "wie man ihn selbst einsetzt, herausnimmt, sich mit Sicherheit reinigt". Demonstrative Offenheit, scheint es, sollte die Geliebte bezwingen, zur "polygamen Ehe" verführen. Und wo das Werben nichts half, da wurde getadelt. "Aber nie wirst du", schrieb Arnold Zweig 1922 mit unverhohlener Eifersucht, "das bisschen Energie und geistige Strenge aufbringen das zur Revision deiner Stellung zu dir selber nötig ist."
Selbst noch befangen in der Moral, die sie ablehnten, bedrängten die Zweigs ihre Freundin mit einem Eifer, der wahre Nähe kaum zuließ. Nach den wenigen Besuchen, zu denen es über die Jahre kam, zeigte der Briefwechsel regelmäßig deutliche Spuren des Befremdens, die sich erst mit der Zeit wieder verloren. Nur von Zürich aus, wo ihr Mann seit 1913 eine Professur bekleidete, mochte sich Helene Weyl auf das riskante Spiel einlassen; nur aus der Entfernung konnte sie den Abstand übersehen, der zwischen ihrer arrivierten Existenz und dem Künstlerdasein Arnold Zweigs bestand. Nachdem Hermann Weyl 1930 an die Universität in Göttingen berufen worden war, verging fast ein Jahr, ehe die Freunde im nahen Berlin die neue Anschrift erfuhren. Das Rollenspiel, das sich Zweig schon vorher ausgedacht hatte - er als Rilke, Helene Weyl als Lou Andreas-Salomé -, kam nicht mehr zur Aufführung. Die Verbindung riß ab, noch bevor man sich durch die Emigration aus den Augen verlor.
Erst 1938, als er von Palästina nach Amerika übersiedeln wollte, nahm der Schriftsteller den Kontakt wieder auf, fragte nach den Möglichkeiten einer Ansiedlung in Princeton, wo die Weyls unterdessen zum akademischen Establishment gehörten. Die Antwort war höflich bemüht, sie schloß mit einer freundlich abwehrenden Bemerkung: "Leicht wird es nicht für Euch sein, noch einmal den Wanderstab weiterzusetzen." Der Besuch, den Zweig dennoch anläßlich einer Vortragsreise 1939 macht, beendet die Beziehung dann endgültig. Man trennte sich, wie die letzten Briefe verraten, mit der Versicherung ewiger Freundschaft und wußte doch, daß "Unterschiede des Denkens in wichtigen Bezirken" unüberbrückbar blieben. Seiner Frau schrieb Zweig danach: "Bei Weyls war es sehr schön. Aber einen Kuß der Weyl? Unmöglich. Sie ist tiefst reaktionär . . . Sie glaubt an Deutschland, wie es konservativ ist." Spürbar wird eine letzte Enttäuschung, noch einmal die Kränkung des Künstlers, der mit seiner Leidenschaft wohl auch den gesellschaftlichen Abstand, den eingebildeten wie den tatsächlichen, zu überwinden hoffte. THOMAS RIETZSCHEL
Arnold und Beatrice Zweig und Helene Weyl: "Komm her, wir lieben Dich". Briefe einer ungewöhnlichen Freundschaft zu dritt. Hrsg. von Ilse Lange. Aufbau-Verlag, Berlin 1996. 472 S., 20 Abb., geb., 68,- DM.