Rezension: Sachbuch : Das Kopfwehfräulein
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Elsbeth Dangel-Pelloquin in Jean Pauls Geschlechter-Werkstatt
Frauen sind zarte Geschöpfe, und wie andere leidet auch die Heldin aus Jean Pauls "Unsichtbarer Loge" an ewigem Kopfweh: "Mädchen, die oft krank sind", heißt es dazu in einem Brief des Doktor Fenk an seinen Freund Jean Paul, gewöhnten sich eine Miene von "geduldigem Ergeben" an, die "zum Sterben schön" sei. Nicht allein der Kopfschmerz allerdings fordert Beatas Geduld im Roman heraus, sondern auch der eigene Vater, "der sie gleich quält und liebt und der ihr zu Gefallen (nach dem Egoismus des Geizes) eine Welt abschlachtete".
Jean Pauls Heldinnen müssen gewähren lassen und erdulden. Sie sind - dies scheint der Autor als anthropologisches Faktum hinzunehmen - das leidende Geschlecht. Ihre Migräne ist Ausdruck einer zarten Seele in allzu fragilem Körper und gehört wie die Figur des tyrannischen Vaters zu ihren Stigmata, das eine von der Natur, das andere von der Gesellschaftsordnung als Mitgift gegeben. Wenn Beata in der "Unsichtbaren Loge" der "schönste sterbende sinkende Laut" von den Lippen weicht, trägt ihr dies aber auch die Neigung der Männer ein. Denn offenkundig sind alle in sie verliebt, sogar der Erzähler Jean Paul, der davon träumt, bei ihrem Vater Gerichthalter und Schwiegersohn zu werden. Heimlich partizipiert er im Roman am Frauenleiden. Er rührt sie zu Tränen, um sie trösten zu können und selbst gerührt zu sein von der fremden Rührung.
"Eigensinnige Geschöpfe" nennt Elsbeth Dangel-Pelloquin ihre jüngst erschienene Studie über die "poetische Geschlechter-Werkstatt" im Werk Jean Pauls. "Ein Mann hat zwei Ich, eine Frau nur eines und bedarf des Fremden, um ihres zu sehen", lautet der prominente Satz aus der Erziehungsschrift "Levana", den die Literaturwissenschaftlerin ihrer Studie voranstellt. Denn in der zeittypischen Stilisierung hat die Frau kein modernes Selbstbewusstsein, durch dessen Reflexivität ihr Ich sich selbst gegenübersteht und beobachtet. Viel mehr ist sie Fluchtpunkt der Männersehnsüchte nach einer verloren gegangenen und auf höherer Stufe wieder angestrebten Einheit. Von der Entzweiung verschonte Natur soll sie sein. Und wo die Frau sich dennoch sieht, tut sie es gefiltert durch den männlichen Blick, der die Differenz festlegt und Weiblichkeit definiert.
Im "zeitgenössischen Konzert der Geschlechterdefinition" - das stellt die Studie gleich klar - liegt Jean Pauls Besonderheit sicher nicht in einer kühnen Konzeption oder einer neuen Unübersichtlichkeit der Geschlechterverhältnisse. Zeitgemäß geht der Dichter von einer der Natur abgelauschten Ordnung der Geschlechter aus und liefert auch kein Plädoyer für eine "bürgerliche Verbesserung der Weiber", wie sie etwa Theodor Gottlieb von Hippel 1792 veröffentlichte. Während er sich so aber in der theoretischen Perspektive als "Gefangener der philosophischen Programmatik seiner Zeit" erweise, so die Autorin, sei seine poetische Praxis ungleich komplexer: "Jean Pauls Geschlechtervorstellung", heißt es bei Dangel-Pelloquin, "ist aufregend nur da, wo sie poetisch wird und wo sie im Text eine Dynamik der Geschlechter in Gang setzt, die dann mehr zu bieten hat als die meisten Theorien der Zeit".
Wieder einmal also ist die Ästhetik Differenz und Literatur der Ort, an dem Dekonstruktion statthaben kann. Denn was die Literaturwissenschaftlerin an Jean Pauls "Hesperus" (1795), dem ein Jahr später erschienenen Roman "Siebenkäs" und der Erziehungslehre "Levana" (1806) zeigen will, ist die "Werkstatt" des Erzählens selbst. Wo ein pathetischer Dichter seinen weiblichen Idealisierungen zu erliegen droht, ist der Satiriker schon dabei, diese zu durchbrechen. Der Poetiker arbeitet mit offenen "Gehirnkammern" und führt im Text die Herstellung von Weiblichkeit durch den männlichen Blick vor. Ein kritisches Reflexionsmoment ist der Dynamik des Geschlechterverhältnisses auf diese Weise eingeschrieben. Bei Elsbeth Dangel-Pelloquin dürfen Jean Pauls Weiblichkeitsbilder nicht zu Ideologie gerinnen. Sie bleiben durchsichtig und zeigen, was sie konstituiert.