Rezension: Sachbuch : Ballungen vor den Schaufenstern
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Ein Erinnerungsband an den Galeristen Alfred Schmela
Das also sollte Kunst sein: Die Zuschauer des noch jungen Fernsehens verfolgten ungläubig lachend die heftigen Gesten und Sprünge eines grazilen Manns im schneeweißen Rennfahrerdreß. Auf einer schwarzgrundierten Riesenleinwand im Format zwei mal vier Meter drückte er Farbtuben aus, schleuderte und kleckste mit Pinseln, einer Art Flederwisch und Farbmaterie in ekstatischem Ausdruckstanz.
Georges Mathieu war aus Paris eingeflogen und ins Atelier von Otto Piene gefahren worden, um dort im Scheinwerferlicht vor laufenden Kameras zu malen. Alfred Schmela, der Initiator des Ereignisses, drückte dem Maler nach der Aktion furchtlos die farbgetränkte Hand. In jenem Januar 1958 zeigte der Düsseldorfer Galerist die erste Einzelausstellung Mathieus in Deutschland. Ein halbes Jahr zuvor hatte Schmela seine Galerie mit einer Ausstellung Yves Kleins eröffnet. Auch für Yves Klein war es die deutsche Premiere - mit sensationeller Resonanz. Schon vor der Eröffnung des kleinen Altstadtladens klebten Schmähschriften an seinen Schaufenstern, "in denen die kochende altstädtische Volksseele höchst unverblümt ihre Meinung über dieses neueste Angebot des modischen Kunstmarktes ausdrückte". So schrieb Karl Ruhrberg in den "Düsseldorfer Nachrichten" über das Ereignis.
Karl Ruhrberg, der Gründungsdirektor der Düsseldorfer Kunsthalle und bis 1984 Direktor des Museums Ludwig, hat jetzt einen Erinnerungsband an Alfred Schmela herausgegeben. Schmela starb 1980. Die Geschichte seiner Galeriearbeit ruft wie keine zweite den Aufstieg des westdeutschen Kunstmarkts in Erinnerung. Sein Name ist mit der westeuropäischen und amerikanischen Kunstentwicklung eng verknüpft. Schmela hat einer ganzen Reihe junger Künstler, denen er die erste Einzelausstellung ausrichtete, zu Ruhm verholfen. Unter ihnen sind Beuys, Graubner, Klapheck, Richter, die Zero-Künstler. Als international agierender Händler stellte er etwa Christo, Tinguely, Fontana, Robert Morris und Kenneth Noland erstmals in Deutschland aus.
Ruhrberg hat Freunde - Künstler, Sammler und Kritiker - und Schmelas Ehefrau um Erinnerungen an den Düsseldorfer Galeristen gebeten. Die meisten Texte sind, Schmela entsprechend, sehr persönlich gehalten und lassen die Begeisterungsfähigkeit und Wärme des Rheinländers nacherleben. Der hochbegabte, sensible und humorvolle Mann stilisierte sich gern als Original. Daher gibt es viele Anekdoten zu lesen: Gotthard Graubner etwa beschreibt, wie Schmela mit Hilfe stinkenden Käses eine Skulptur von Brancusi über die französisch-deutsche Grenze schmuggelte.
Reizvolle Fotos illustrieren den Band. Da sieht man Schmela tanzen, kochen, Boule spielen, als Gewichtheber oder im Kreise der Freunde und Familie tafeln. Die spektakulären Aktionen in seiner Galerie, all die jungen Gesichter seiner Künstler in aufbruchsfroher Zeit kommen wieder in den Blick. So stimmt dieses Buch auch wehmütig: Damals war Kunst noch eine ganz und gar sinnliche, aufregend neue, auch empörende Angelegenheit. Anläßlich der Christo-Ausstellung bei Schmela im Jahr 1963 berichtete der Kritiker J. A. Thwaites von Menschengruppen, die sich vor den Schaufenstern ballten, lachten und gestikulierten. Die Aufregungen wurden durch die späteren Erfolge ad absurdum geführt. Auch deswegen sind die zeitgenössischen Rezensionen lesenswert, die die von Axel Wendelberger erarbeitete Chronologie der Galerieausstellungen begleitet. Alfred Schmela, 1918 in Dinslaken geboren, seit 1923 in Düsseldorf, hatte 1940 sein Examen als Hochbauingenieur abgelegt, sich nach sieben Jahren Krieg und Gefangenschaft für das Studium der Malerei entschieden und von 1951 bis 1957 als freier Maler gearbeitet. Doch er war der geborene Galerist, hatte Gespür für künstlerische Qualität ebenso wie für Effekte und Medienwirksamkeit. Er witterte die Chancen, die das "Wirtschaftswunder" und die Internationalisierung sich brachten. Im Jahr 1969 bereits erklärte die Pariser Wochenzeitung "L'Express" Alfred Schmela zu einem der wichtigsten Kunsthändler der Welt. Schmela hatte die internationale Karriere trotz beklagenswert geringer Sprachkenntnisse mit Intuition und Körpersprache geschafft. So schildert Georg Jappe, wie der Düsseldorfer mit Leo Castelli ohne ein Wort Englisch über ein Bild von Roy Lichtenstein verhandelte, indem jeder der beiden wechselweise eine Zahl auf einen Zettel schrieb, der Partner auflachte, durchstrich, eine neue Zahl schrieb, bis Schmela 30000 Dollar in bar hinblätterte, die Leinwand aufrollte und in der New Yorker Nacht verschwand. Castelli setzte sich ans Telefon, um zu erfahren, wer das denn gewesen sei.
Schmela füllte, wie Otto Piene schreibt, die Erwartung einer neuen Kultur mit Substanz. Sein wichtigster Künstler wurde Beuys, mit dem er seit 1958 um eine Einzelausstellung rang. Erst 1965 war es soweit: Beuys eröffnete mit der inzwischen legendären Aktion "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" seine Ausstellung "Irgendein Strang". Schmelas Erfolge ließen sich auch an den Stationen seiner Galerien ablesen: Im Jahr 1971 eröffnete er seinen architektonisch bedeutenden, von Aldo van Eyck geschaffenen Galeriebau in der Düsseldorfer Altstadt, 1975 eine weitere Galerie mit Skulpturenpark in einem alten Herrenhaus am Rand von Düsseldorf.
Am meisten geliebt aber hat er die Wohnung am Luegplatz, die gleichzeitig als Galerie diente. Dort fand, wie ein Kurator der Tate Gallery sich ausdrückte, "the most human gallery in the world", die menschlichste Galerie der Welt, statt. Dank Monika Schmela. Sie lieferte die herzliche, familiäre Atmosphäre mit mittäglichem Eintopf und Blechkuchen, selbst für die Kunden. In ihrem Beitrag erzählt Monika Schmela, ebenso direkt und witzig wie ihr Mann, vom Alltag des Kunstbetriebs: Wie sie Stoffe für Christo im Waschkessel färbte, daß Yves Klein beim Abwasch half, Beuys ein Stockfischessen veranstaltete. Verärgerte Hausbewohner beschwerten sich, als ein Lastwagen morgens früh stapelweise zugeschnittenen Filz im Hausflur ablud, der für eine Installation von Beuys vorgesehen war und sogleich sämtliche Wohnungen verfluste.
Alfred Schmela trennte nicht Privates vom Öffentlichen. Er liebte es, die Wirtschaftswunderaufsteiger des Rheinlandes durch Unverblümtheiten zu provozieren, und überzeugte seine Kunden mit knappster Formulierung: "Dat is doll!" Dieses Buch ist ein schöner Rückblick auf eine spannende Epoche und eine urwüchsige Persönlichkeit geworden. "Schmela . . . ach!" - seufzen wir mit Georg Jappe. SUSANNE HENLE
"Alfred Schmela, Galerist - Wegbereiter der Avantgarde". Herausgegeben von Karl Ruhrberg unter Mitarbeit von Axel Wendelberger und Elfriede Ruhrberg. Wienand Verlag, Köln 1996. 224 Seiten mit 15 Farbtafeln und 150 Schwarzweißabbildungen, geb., 68 Mark.