Rezension: Sachbuch : Auch ein Strukturwandel der Öffentlichkeit
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Im Frühjahr 1749 erhielt der Pariser Polizeichef den Auftrag, den Verfasser eines Gedichts dingfest zu machen, das sich in Schmähungen des Hofes erging. Die Nachforschungen führten zwar nicht zum Autor der anstößigen Ode, deckten aber statt dessen ein ganzes Netz von Wegen auf, auf denen Schmähgedichte verbreitet wurden.
Im Frühjahr 1749 erhielt der Pariser Polizeichef den Auftrag, den Verfasser eines Gedichts dingfest zu machen, das sich in Schmähungen des Hofes erging. Die Nachforschungen führten zwar nicht zum Autor der anstößigen Ode, deckten aber statt dessen ein ganzes Netz von Wegen auf, auf denen Schmähgedichte verbreitet wurden. Die Polizei ging energisch gegen alle vor, die solche Gedichte weitergegeben hatten, auch wenn sie beteuerten, nicht die Verfasser zu sein. Schließlich saßen vierzehn Personen in der Bastille, die sich an der Verbreitung von Schmähgedichten beteiligt hatten. Die Affäre, deren Dossiers sich erhalten haben, hieß deswegen "L'Affaire des Quatorze". Ihren Spuren in den Archiven ist der Revolutionshistoriker Robert Darnton mit der ihm eigenen Akribie und Erzählfreude in einem schmalen Bändchen nachgegangen, dessen Umfang eine gewaltige Untertreibung ist.
Denn die kleine kriminalistische Nachforschung führt zu beachtlichen Ergebnissen. Wir befinden uns in einem Schlüsseljahr des vorrevolutionären Frankreich. Am Hof kam es im April 1749 zum spektakulären Sturz des Ministers Maurepas, der 36 Jahre der Regierung angehört hatte. Er fiel seinen Intrigen gegen Madame Pompadour, der Mätresse des Königs, zum Opfer. Seine Leidenschaft für Gedichte wurde ihm zum Verhängnis: Er sammelte anzügliche Lieder und Gedichte über Hofleben und Tagesereignisse und nutzte diese Gedichte nicht nur, um den König zu unterhalten, sondern sie waren für ihn ein Mittel, ihn zu beeinflussen, indem er ihm den angeblichen Spiegel der Volksmeinung vorhielt. Im Falle der Pompadour erreichte er das Gegenteil des Beabsichtigten: Die vielen Gedichte, die anzüglich auf ihren Mädchennamen "poisson", auf ihre dunkle Haut, auf Sexuelles anspielten, führten nicht, wie gewünscht, ihren Sturz herbei, sondern den des Ministers. Maurepas hatte sich verschätzt. Nun konnte er sich seiner Leidenschaft, der Sammlung von Gedichten, mit interesselosem Wohlgefallen widmen. Der "Chansonnier Maurepas", 42 Bände lästerlicher Verse über das Hofleben Ludwigs XV., wird noch heute in der Bibliothèque Nationale verwahrt.
Bevor das, was wir "Öffentlichkeit" nennen, einen Namen hatte, wurde also am Hof in Versailles schon Politik damit gemacht. Maurepas nutzte die Verse, zu denen er selbst anstiftete und die in Paris zirkulierten, um den König zu beeinflussen und in seinem Sinne zu lenken. Wer die Meinung der Pariser Bevölkerung zu filtern verstand, hielt damit ein einzigartiges Instrument unmerklicher Beeinflussung von König und Hof in Händen. Sicherlich war dies keine Erfindung des Ministers Maurepas, es war seit je die Kunst der Höflinge, solchen Gebrauch von der Stimmung im Volk zu machen. Neu war vielmehr, daß dieses Instrument sich verselbständigte, daß es viele andere fern vom Hof und ohne direkte politische Ambition gab, die mit diesem Instrument spielten. Darin liegt die Bedeutung der Polizeiberichte, die Robert Darnton auswertet. Die Verfasser der Gedichte wurden nie ermittelt, aber die Kette, die sie durchliefen, umfaßte vor allem Geistliche, Gelehrte und Studenten - einen Personenkreis, den wir heute als Intellektuelle bezeichnen würden.