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Protokolle von Can Dündar : Ein hochbesorgter Brief an Präsident Erdogan

Er wird beschuldigt, Staatsgeheimnisse verraten zu haben: Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der „Cumhuriyet“ Bild: dpa

Weil er Staatsverbrechen aufdeckte, landete er im Gefängnis: Jetzt protokolliert der Journalist Can Dündar seine Haftzeit - und spendet sogar ein wenig Hoffnung.

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          Die dreihundert Seiten, geschrieben im türkischen Gefängnis Silivri, sind ein wichtiges Dokument Zeitgeschichte. Can Dündar, der unbeugsame Chefredakteur der ältesten Tageszeitung der Türkei „Cumhuriyet“, hatte sich über Monate auf kleinen Bedarfsscheinen des Gefängnisses handschriftliche Notizen gemacht. Er beschrieb in der Stille der Isolationshaft die „finstere Zeit“, in die Präsident Recep Tayyip Erdogan die Türkei geführt hat; die Macht, mit der Erdogan über das Land und die nicht mehr unabhängige Justiz herrscht; die Freiheiten, die es in der „Neuen Türkei“, die Erdogan beschwört, nicht mehr gibt.

          Rainer Hermann
          Redakteur in der Politik.

          In freien Ländern mache sich strafbar, wer ein Verbrechen begehe, schreibt Dündar in seinem morgen auf Deutsch erscheinenden Buch. In der Türkei aber werde vor Gericht gestellt, wer Verbrechen aufdecke. So wie er, als er der Veröffentlichung eines Berichts zustimmte, der geheime türkische Waffenlieferungen an islamistische Extremisten in Syrien enthüllt hat. Damit forderte er Erdogan heraus. So ordnete am 26. November 2015 ein Gericht Untersuchungshaft für Dündar und Erdem Gül an, den Leiter des Hauptstadtbüros von „Cumhuriyet“.

          Was Erdogan leugnet

          Und Dündar wurde der prominenteste Häftling in dem 2008 eröffneten „Internierungslager“, das westlich von Istanbul 15 000 politischen Gegnern Erdogans Platz bietet. Schließlich forderte am 27. Januar 2016 die Anklage für Dündar wegen „Spionage“ zweimal lebenslänglich, einmal davon unter erschwerten Bedingungen, dazu weitere dreißig Jahre Haft. Als „Beweise“ dienten zweiundfünfzig Kolumnen, die Dündar geschrieben hatte.

          Bild: Verlag

          Das Verfassungsgericht hob am 26. Februar das Urteil auf. Dündar und Erdem Gül waren wieder auf freiem Fuß. Zwei Richter, die sich dafür eingesetzt hatten, wurden später suspendiert. Unversehens standen Dündar und Gül wieder vor Gericht; sie wurden am 6. Mai 2016 wegen des Verrats eines Staatsgeheimnisses zu je fünfzehn Jahren und zehn Monaten Haft abermals verurteilt. Diskret schob ihnen die Justiz ihre Reisepässe zu. Dündar, der an jenem 6. Mai bei einem Mordanschlag unverletzt geblieben war, lebt heute nicht in der Türkei.

          Mit vielen Einzelheiten zeichnet Dündar nach, wie es zum Aufmacher vom 29. Mai 2015 gekommen war. Über großen Fotos stand: „Hier sind die Waffen, die Erdogan leugnet!“ Die Geschichte bezog sich auf einen Vorfall am 19. Januar 2014, als die türkische Gendarmerie nahe der Grenze zu Syrien einen Lastwagen des Geheimdienstes MIT festgehalten hatte. Ein Video, das ein Angehöriger der Gendarmerie machte, dokumentiert, wie sich die Gendarmen und die Geheimdienstler stritten, wie die Gendarmen auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft den Lastwagen öffneten und durchsuchten, wie sie dabei schwere Munition fanden, etwa Mörsergranaten. Der Regierung in Ankara war immer wieder vorgeworfen worden, sie unterstütze in Syrien Al Qaida und den IS. Nun wurde sie in flagranti ertappt.

          Dündar und die Gülen-Bewegung

          Der Vorfall wurde im Parlament diskutiert, keine Zeitung fasste das heiße Eisen aber an. Aus dem Parlament wurde das Video der Zeitung „Cumhuriyet“ zugespielt. Can Dündar und seine Redakteure sahen nun den Beweis, dass der türkische Geheimdienst Waffen nach Syrien liefere. Sie stellten sich zwei Fragen: Ist das Dokument echt? Ist seine Veröffentlichung im Interesse der Öffentlichkeit? Sie beantworteten beide Fragen mit einem Ja.

          Dündar schreibt: „Ich wusste, dass eine Straftat kein Geheimnis sein konnte.“ Erdogan sah das anders und sagte dem Staatssender TRT: „Ich habe ihn angezeigt. Die Person, die das als Aufmacher brachte, wird dafür dafür bezahlen.“ Zunächst ließ der Staat Zeit verstreichen. Erst nachdem Erdogans AKP am 1. November 2015 im Parlament die absolute Mehrheit zurückerlangt hatte, begann das Verfahren. Erste Amtshandlung der neuen AKP-Regierung war, Can Dündar und Erdem Gül am 24. November die Vorladung vor ein Istanbuler Gericht zuzustellen. Der Tag war für die Türkei auch deshalb wichtig, weil an jenem Morgen die Türkei ein russisches Kampfflugzeug an der Grenze zu Syrien abgeschossen hat und Erdogan indirekt gestand, dass der Lastwagen vom 19. Januar 2014 Waffen transportiert hatte.

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