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Eskalation einer Comicdebatte : Dürfen Künstler gar nicht behelligt werden?

  • -Aktualisiert am

Verleger und Verriebe werden mitverantwortlich für Kinderpornographie in Comics gemacht: Wandparole während des diesjährigen Festivals in Angoulême. Bild: Picture Alliance

Rund um das diesjährige Comicfestival von Angoulême eskaliert die Auseinandersetzung um die Pornographievorwürfe gegen den Starzeichner Bastien Vivès.

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          Die fünfzigste Ausgabe des Festival international de la bande dessinée in Angoulême, des wichtigsten europäischen Comicfestivals, ist gestern zu Ende gegangen. Den Grand Prix hat Riad Sattouf erhalten, eine überfällige Auszeichnung; mit „Der Araber von morgen“ und „Esthers Tagebücher“ feiert Sattouf be­rechtigte Erfolge. Der Schweizer Martin Panchaud erhielt den Preis für das beste Album: Sein „La Couleur des choses“ (Die Farbe der Dinge) ist ein sehr origineller Band, der mit Google Maps arbeitet und die Figuren als Kreise von oben zeigt. Aber nicht die Preisträger waren das Hauptthema, sondern das war die abgesagte Ausstellung von Bastien Vivès (F.A.Z. vom 16. Dezember 2022). Der Zeichner wurde der Frauenfeindlichkeit beschuldigt und der Kinderpornographie angeklagt. Das ist der MeToo-Moment der Comicszene.

          Eine fundierte Diskussion hat darüber noch kaum stattgefunden. Das zeigten die Nachrichten auf France Inter, die das öffentliche Radio direkt aus Angoulême sendete: Man bekam keine rechte Äußerung zum Thema; der Moderator Bruno Duvic verwies darauf, dass die Angst vor einem Social-Media-Shitstorm weit verbreitet sei. Dennoch zeichnen sich Bruchlinien ab: „Le Point“ spricht von einer „Affäre Vivès“, die zugleich eine „Lynchjustiz“ sei; im Comic wird „das neue Schlachtfeld der Ideologien“ ausgemacht. „Le Monde“ sieht – in Anspielung auf den Band „Streit um Asterix“ – genretypische „zizanie“.

          Die Verteidiger von Bastien Vivès formieren sich

          Der prominente Comiczeichner Jean-Marc Rochette hatte Vivès früh verteidigt, nun folgten andere. Im Gespräch mit Duvic sprach sich Fausto Fasulo, der stellvertretende Festivalleiter, klar für Vivès aus; die Absage sei wirklich nur aus Sicherheitsgründen erfolgt, er stehe voll hinter dem Autor und könne die Kritik nicht nachvollziehen. Auch Enki Bilal, teuerster lebender französischer Comiczeichner, positionierte sich im Vivès-Lager; gegenüber „Le Monde“ hält er fest: „Der Druck, die Übereilung, der Mangel an Diskussion haben die Ausstellung in Angoulême untergehen lassen, obwohl niemand deren Inhalt kannte. Man darf einen Künstler nicht behelligen. Man mag ihn, oder man mag ihn nicht, man kritisiert ihn, auch mit Vehemenz, aber mit Worten. Und vor allem keine feige Verbissenheit, kein Ausschluss, kein An-den-Pranger-Stellen.“

          Er polarisiert auch seine Kollegen: der umstrittene Comiczeichner Bastien Vivès.
          Er polarisiert auch seine Kollegen: der umstrittene Comiczeichner Bastien Vivès. : Bild: AFP

          Im selben Blatt hält der mindestens so prominente Kollege Jacques Tardi indes dagegen: „Kinderpornographie ist ein Verbrechen, man kann sie nicht loben. Die Banalisierung des Inzests, die Vivès betreibt, ist unerträglich.“ Und: „Man kann nicht Unsinn verbreiten unter dem Vorwand, man schaffe ein Werk.“ Offenbar vertritt Tardi damit nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung. Auch Zeichnerinnen wie Catel („Kiki de Montparnasse“) und Coco (Cartoonistin für „Charlie Hebdo“ und „Libération“) zeigen sich solidarisch mit Vivès. Hinter den Kulissen zirkulierte eine Petition für den Ausgeladenen mit dem Titel „L’art n’est pas la morale, la fiction n’est pas la réalité“ (Die Kunst ist nicht die Moral, die Fiktion ist nicht die Realität); sie soll erst nach dem Festival publik werden. Gut zehn Preisträger unterstützen laut „Le Monde“ Vivès, wollen aber anonym bleiben.

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