Zum Tode Lord Weidenfelds : Der Außenseiter im Establishment
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Der 1919 in Wien geborene Georg Weidenfeld gilt als einer der politisch einflussreichsten Verleger seiner Zeit. Bild: Frank Röth
Verleger, Diplomat, Journalist und Netzwerker: Der österreichisch-britische Lord George Weidenfeld ist im Alter von 96 Jahren verstorben.
George gehört zu den beliebtesten britischen Vornamen, zumal jetzt wieder, wo der königliche Urenkel und künftige Monarch so heißt. In bestimmten Kreisen weiß man jedoch, dass nur einer gemeint sein kann, wenn der Name George fällt. Das ist der Verleger George Weidenfeld, der den Begriff des Networking verkörperte, lange bevor dieser Eingang fand in die Wörterbucher. Der nach der Annektierung Österreichs nach England geflüchtete Weidenfeld kam jedoch nicht als George sondern als Arthur auf die Welt, im Wien der gerade untergegangenen Habsburgermonarchie, deren kosmopolitisches Gebilde die so oft von ihm beschworene Vision eines von Wladiwostock bis Vancouver reichenden Bündnisses ebenso geprägt haben dürfte wie die prekäre politische Lage der Zwischenkriegszeit.
Die Spannungen lehrten das gehätschelte Einzelkind aus dem jüdischen Bürgertum früh, die Entwicklungen nach dem Kriterium zu prüfen, das George Weidenfeld sein Leben lang reflexartig anwandte: ob eine Sache „gut für die Juden“ oder „schlecht“ für sie sei. Diese Frage bestimmte sein ganzes Denken und Tun als Verleger, als politischer Ratgeber, als Kolumnist, als Mittler der deutsch-jüdischen Versöhnung, die ihm aus dem Kalkül heraus, dass die Unterstützung der Bundesrepublik für das Fortbestehen Israels unerlässlich sei, besonders am Herzen lag, und überhaupt als Brückenbauer, ob er große Köpfe zu Kamingesprächen, am Konferenztisch oder an der runden Tafel in der barocken Pracht seiner Wohnung mit Blick auf die Themse versammelte. Dort bezeugen die Büsten und Porträts von Päpsten Weidenfelds Faszination für die römisch-katholische Kirche als weltliche und geistliche Macht, deren Anspruch auf Universalität dem in einem Piaristen-Gymnasium Geschulten imponierte, obwohl er als Jude im Vatikan den unerbittlichen Gegner sah.
Versuch, die Irrwege zu begreifen und zu erklären
Zu seiner, wie er selbstironisch bekannte, jesuitischen Anschauung gehörte, dass Weidenfeld sich in die Mentalität derer hineinzufühlen suchte, die er als Widersacher des Judentums empfand. Die frühen Erfahrungen mit dem Antisemitismus seien Lektionen gewesen der lebenslangen Bemühungen, mit dem „Feind“ zu leben, schrieb er in seinen Erinnerungen. „Ich wollte über meinen Gegner stets so viel wie möglich herausfinden; es schien mir wichtig, seine ,Geheimsprache‘ zu lernen, seine Charakterzüge, Verhaltensweisen und Grundsätze genau zu beobachten und die Art, wie ich die ,andere Seite‘ wahrnahm, mit dem Bild von sich selbst zu vergleichen.“ Das galt freilich auch für den Nationalsozialismus, den er, das Gespür mit einem proustschen Sinn für gesellschaftliche und kulturelle Nuancen vermengend, bis ins kleinste Detail studiert hatte. Als der junge Emigrant während des Krieges bei der BBC beschäftigt war, zunächst beim Abhördienst, später als Kommentator und Propagandaspezialist, veröffentlichte Weidenfeld eine Studie über die NS-Propagandamaschinerie, bei der er sich unter anderem auf die Erfahrungen des Theaterkritikers Alfred Kerr und des ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Ignaz Weiss stützte, die ebenfalls nach London geflohen waren.
Bis zuletzt konnte Weidenfeld das Personal der deutschen Botschaft in Moskau mitsamt des jeweiligen Ranges auflisten und wie einen Art Party-Trick aufführen oder auch weniger bekannte Nazi-Lieder mit weit aufgerissenen Augen singen, in denen sich der Schauer mit einem mokanten Blick vermengte, der verriet, dass ihm die groteske Komik der Situation keineswegs entgehe. In den vergangenen Monaten, in denen er seine Energien auf die Bekämpfung des islamistischen Fundamentalismus richtete, sprach Weidenfeld oft von dem nationalsozialistischen Zweckbündnis mit dem Großmufti von Jerusalem und nannte, wiederum mit amüsierter Miene, Hitlers Überwindung seiner Antipathie für die Araber als Beispiel für die Notwendigkeit, im Sinne der höheren Sache unbequeme Bündnisse einzugehen. Wie so viele aufgeschlossene Köpfe seiner Generation trieb Weidenfeld das durch die frühen Titel seines Verlagsprogramms belegte Bestreben, die Irrwege, die in die Katastrophe des Nationalsozialismus geführt hatten, zu begreifen und zu erklären.
Er bewahrte sich den Blick des Außenseiters
Der Vater, ein Versicherungsmakler wider Willen, der lieber Althistoriker oder -Philologe gewesen wäre und im Unterschied zu der aus einer erlesenen Rabbiner-Dynastie stammenden Mutter nicht religiös war, hatte im Sohn früh eine Passion für Geschichte geweckt. Noch während des Krieges hatte dieser Pläne für eine europäische Kulturzeitschrift geschmiedet, die das Zeitgeschehen durch analytische Essays, Reportagen und Kommentare namhafter Autoren wie Sebastian Haffner, Richard Löwenthal, Arnold Toynbee, Benedetto Croce und Ernst Schumacher das Zeitgeschehen beleuchten sollten. Aus diesem Magazin ging 1948 der Verlag Weidenfeld and Nicolson hervor, dessen literarisches und Sachbuch-Programm im Kontrast zur anglozentrischen Konkurrenz die Weltläufigkeit und das Gespür für große Themen und, wie die Veröffentlichung von Nabokovs „Lolita“ 1959 zeigte, auch die Bereitschaft zum Risiko spiegelten. Zudem war er ein Pionier internationaler editorischer Projekte.
Obwohl Weidenfeld als Mitglied des Oberhauses zum britischen Establishment gehörte und auf beiden Seiten des Atlantiks in den höchsten Kreisen verkehrte, bewahrte er stets den Blick des Außenseiters. Seine Rastlosigkeit wirkte sich auch auf sein bewegtes Privatleben aus, bis er schließlich mit 73 Jahren das große Glück fand in seiner vierten Ehe mit Annabelle Whitestone, der letzten Lebensgefährtin Artur Rubinsteins. An diesem Mittwoch ist George Weidenfeld in den frühen Morgenstunden in Alter von 96 Jahren gestorben, bis zuletzt beflügelt von frischen Plänen.