Deutsche Nationalbibliothek : In Frankfurt lesen jetzt zuerst Maschinen
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Das wirklich schlagende Schlagwort steht oft zwischen den Zeilen, wo ein Lesegerät es nicht finden kann. Bislang ist die Nationalbibliographie das Werk der Fachreferenten der Deutschen Nationalbibliothek. Bild: Helmut Fricke
Die Deutsche Nationalbibliothek sammelt alle deutschen Bücher – und erschließt sie mit Schlagworten. Diese Arbeit sollen künftig keine Menschen mehr verrichten. So macht die Digitalisierung Wissen unzugänglich.
Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) ist im Kreis der europäischen Nationalbibliotheken eine sehr besondere Institution. 1912 als „Deutsche Bücherei“ vom Interessenverband der deutschen Verleger und Buchhändler gegründet, hatte sie von Anfang an eher archivische denn bibliothekarische Funktion. Das „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ vom 2. November 1912 schrieb: „In erster Linie handelt es sich hier um ein Archiv des gesamten deutschen Buchhandels und deutschen Schrifttums von möglichst lückenloser Vollständigkeit vom Beginn der Sammlung am 1. Januar 1913.“ Hieran hat sich nichts geändert. Das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek von 2006 bestimmt als Sammlungsobjekte „die ab 1913 in Deutschland veröffentlichten Medienwerke und die ab 1913 im Ausland veröffentlichten deutschsprachigen Medienwerke, Übersetzungen deutschsprachiger Medienwerke in andere Sprachen und fremdsprachige Medienwerke über Deutschland“. Der Begriff Medienwerke umfasst ausdrücklich auch Werke auf elektronischen Datenträgern und Darstellungen in öffentlichen Netzen, also zum Beispiel E-Books, Online-Zeitungen und deutsche Websites.
Dieser gesetzliche Auftrag begründet für die DNB ein grundsätzlich anderes Sammlungsverständnis, als es für wissenschaftliche Universal- und Forschungsbibliotheken selbstverständlich ist. Letztere sammeln auswählend und damit „aktiv“, etwa die weltweit erscheinende wissenschaftliche Literatur zu bestimmten Fächern oder Themen. Das Sammlungshandeln der DNB hingegen ist – dies ist nicht abwertend zu verstehen – rein rezeptiv. Sie nimmt alles entgegen, was gemäß der oben zitierten Gesetzesvorgabe publiziert wird, und nichts darüber hinaus: Die DNB sammelt nicht, sie sammelt an.
Im Digitalen maximiert sich der Nutzen dieser Daten
Nun ist sie aber keineswegs nur ein reines Lager für alle Belegexemplare des deutschen Verlagswesens. Ihre Kernaufgabe, die ebenfalls gesetzlich festgeschrieben ist, liegt vielmehr in ihrer Rolle als nationalbibliographisches Zentrum, also in der formalen und sachlichen Erschließung der Medienwerke. Formalerschließung meint die Verzeichnung von Autor, Titel, Erscheinungsort und so weiter in einem Katalogisat, Sacherschließung die Erfassung des Gehalts eines Werkes durch inhaltsbeschreibende Metadaten.
Diese Inhaltserschließung, die im Regelfall durch wissenschaftliche Referenten geleistet wird, ermöglicht erst die thematische, auf den sachlichen Kern abzielende Such- und Findbarkeit von Büchern. Ein Beispiel: Das Buch „Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt“ von Shereen El Feki wird durch die Sachschlagwörter „Ägypten; Sexualverhalten; Islam; Sexualethik“ erfasst. Das Werk wird durch diese Erschließungsdaten als Fachbuch zur Sexualethik und zum Sexualverhalten im Kontext der islamischen Religion „individualisiert“, und diese Daten zeigen auch, dass das Werk – anders als der Titel suggeriert – explizit auf die Situation in Ägypten und nicht in der arabischen Welt insgesamt fokussiert.
Im Digitalen maximiert sich der Nutzen dieser Daten, die nun in Portalen wie der „Deutschen Digitalen Bibliothek“, im „Semantic Web“ und über globale Suchmaschinen die inhaltsbezogene Recherchierbarkeit der Werke wirksam unterstützen. Verleger, Autoren und Leser haben daher ein starkes Interesse an dieser bibliographischen Dienstleistung.
Die Grenzen einer automatischen Beschlagwortung
Die DNB ist keineswegs die einzige inhaltserschließende Einrichtung in der deutschen Bibliothekslandschaft. Was sie für deutsche und deutschsprachige Publikationen leistet, erbringen weitere große Bibliotheken insbesondere für die internationale wissenschaftliche Fachliteratur. So erschließt die Bayerische Staatsbibliothek Jahr für Jahr rund 70000 ausländische Werke inhaltlich. Alle diese Daten können andere Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen kostenfrei nachnutzen. Im Regelfall sind sie als „Open Data“ auch weltweit frei zugänglich.