Literatur : Der Zauberer von Leipzig-Ost
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Sucht die Schönheit abseits der Moral: Clemens Meyer Bild: Jörg Steinmetz
Gerade noch hat Clemens Meyer von Hartz IV gelebt. Jetzt wird seine erster Roman gefeiert. Beschrieben wird eine kaputte Welt, die er sehr genau kennt und von der er immer wußte, daß er ihr als Schriftsteller entkommen will.
Das Teeservice mit den schmalen braunen Streifen am Tassenrand hat sich Clemens Meyer extra bei seiner Mutter geliehen. Der Neunundzwanzigjährige empfängt schließlich neuerdings Journalisten, denen er Kaffee servieren muß, während seine Freunde normalerweise Bier aus der Flasche trinken. „Ich lebe hier mit 'nem Teller, 'ner Tasse und 'nem Topf. Und das reicht mir“, sagt Meyer.
Der Star der Leipziger Buchmesse, der Jungschriftsteller, dessen Romandebüt allenthalben als Sensation des Frühjahrs gefeiert wird, läßt sich auf einen Retrosessel fallen, der vor einem Tischchen mit blaukariertem Wachstuch und angewelkten Blumen darauf steht. Die Jalousie ist heruntergelassen, um Blicke von der Hauptstraße fernzuhalten; Boxposter und gemalte Frauen an den Wänden, Fußballwimpel am Regal, leere Whiskyflaschen obendrauf. Piet, eine imposante Mischung aus Dobermann und Rottweiler, nölt, bis er aufs Velours-Sofa darf. Von den großflächigen Tätowierungen auf Meyers Armen lugt lediglich ein Auge am Handgelenk hervor.
Eine Verlorenheit in uns
Der Autor sagt Sätze wie: „Das bin ich nicht.“ Oder: „Das ist nicht so gewesen.“ Oder: „Wichtig ist, daß man das als Kunstwerk betrachtet, als Literatur.“ Clemens Meyer steckt in einem Dilemma. Er hat ein Buch geschrieben, das so authentisch klingt, daß sich die Frage aufdrängt, wieviel Erfahrung und Biographie in die Geschichte eingeflossen ist. Währenddessen beschweren sich seine Freunde, wie stark die gemeinsame Vergangenheit verfremdet sei. Wenn man dann von Meyer wissen will, ob er sich früher auch so viel geprügelt habe wie die Jungs in dem Roman, fragt er gequält zurück: „Muß ich darauf antworten?“ Manchmal blockt er einfach ab: „Ich will da nicht drüber reden. Sonst macht mir das den ganzen Zauber des Buches kaputt.“
Der Ich-Erzähler in „Als wir träumten“ (Verlag S. Fischer, 19,90 Euro), Jahrgang 1976, wächst im Leipziger Osten heran. Die Kindheit als DDR-Pionier geht vorbei, die Wende fällt zufällig mit dem Übergang in die Pubertät zusammen, und jetzt wird für Danie und seine Freunde die Brauerei zum Zentrum des Stadtteils. Sie lieben Bier, Fußball und Mädchen, sie klauen und hauen, rauchen und randalieren und berauschen sich an ihrem eigenen Größenwahn, bis die Delikte schwerer werden und die Konsequenzen härter. Mark spritzt sich tot, Walter rast im geklauten Auto gegen einen Baum, und Rico muß immer länger in den Knast. Danie, der als einziger durchzukommen scheint, sagt: „Es gibt keine Nacht, in der ich nicht von alldem träume . . . und ich quäle mich mit der Frage, warum das alles so gekommen ist. Sicher, wir hatten eine Menge Spaß damals, und doch war bei dem, was wir taten, eine Verlorenheit in uns, die ich schwer erklären kann.“
Monopoly und Heroin
Auch Clemens Meyer, Jahrgang 1977, ist im Leipziger Osten aufgewachsen. Er war nie bei den Pionieren, sondern in der Kirche. Manchmal riecht es in seiner Straße würzig nach Brauerei. Die Kaufhalle, in der er als Schüler klaute, liegt keine zehn Gehminuten von seiner Wohnung entfernt. Dort, wo heute die Tankstelle ist, stand einst die alte Fabrik, in der Meyer und seine Freunde in den Neunzigern illegale Techno-Partys veranstalteten. „Eastside“ hieß der Laden - wie im Roman. Tatsächlich hält dort immer noch die Buslinie 73, die auch im Buch erwähnt wird.